Kunstsammlung NRW

Dobribans Welt der Speisen

Der Künstler Arpad Dobriban hat seit Mitte September seine Werkstatt im K21 aufgebaut. Unter dem Titel „Wartesystem 7“ bietet er den Museumsbesuchern Gelegenheit, das Zubereiten von Essen neu zu denken und zu erleben.
Für #32 nimmt Jan-Marcel Müller alle, die nicht an einer seiner abendfüllenden „Kommentierten Speisefolgen“ teilnehmen können, mit auf eine Reise durch Dobribans Welt der Speisen.


Wer sich bewusst mit der Herkunft der eigenen Nahrung beschäftigt, stellt schnell fest: Zu den Abläufen der Nahrungsmittelindustrie hat der durchschnittliche Konsument keinen Zugang. Einflussnahme und Entscheidungen sind ihm bei den Prozessen der Essensproduktion fast total genommen. Der Künstler Arpad Dobriban formuliert es so: „Bei der industriellen Essensherstellung erzielen alle Teilnehmer Gewinne, einziger Verlierer ist derjenige, der das Resultat am Schluss verzehrt“.

Aus diesem Grund hat der Künstler sich dazu entschieden, seine Entscheidungskraft bei allen Etappen der Nahrungsherstellung einzufordern: Sämtliche Zutaten seiner Gerichte sind handverlesen und aus nicht-industrieller Produktion. Die Zubereitung erfolgt nach den Zeiten, die die Lebensmittel vorgeben. Der hungrige „Endverbraucher“ muss also entgegen seiner Gewohnheit warten – daher auch der Titel seiner Projektserie „Wartesystem“.

Ein kleiner Überblick über die verschiedenen Gerichte, die Arpad Dobriban im täglichen Museumsbetrieb anbietet. Fotos: Arpad Dobriban


Bei der „Kommentierten Speisefolge“, die am 24. September im K21 auf den Tisch kam, spielt dieses Element ebenfalls eine wichtige Rolle. Die Anwesenden erwartete ein 5-Gänge-Menü, dessen einzelne Gerichte Arpad Dobriban kommentierte. Der Künstler erläuterte nicht nur die Zusammensetzung und Entstehung der einzelnen Speisen, sondern auch die dahinterstehende Theorie.

Angelehnt ist das Thema des Abends „Available Food“ an den aus Fotografie und Film bekannten Begriff des „Available Light“. Diese Technik arbeitet ausschließlich mit bereits vorhandenen Lichtquellen und verzichtet – auch bei ungünstigen Lichtverhältnissen – auf zusätzliche Beleuchtung. Analog dazu arbeitet Dobriban an diesem Abend „mit dem, was man hat“, also mit Zutaten, die oftmals als wertlos oder sogar als „Abfall“ gelten.

Die Aufgabe desjenigen, der das Essen zubereitet, besteht für Dobriban in der Umwandlung der Zutaten: Zunächst trifft der Konsument seine Auswahl nach bestimmten Kriterien, also nach gesellschaftlichen Normen und religiösen Geboten, nach finanziellen Möglichkeiten sowie natürlichen und körperlichen Voraussetzungen. Anschließend werden die Zutaten so verändert, dass sie dem Körper „zur Verfügung stehen“.

Fotos: Arpad Dobriban

Bereits beim ersten Gericht erfahren die Teilnehmer der „Kommentierten Speisefolge“ am eigenen Leib, wie die Anwendung von (viel) Zeit für die „Verfügbarmachung“ für den Menschen schmeckt. Zunächst kommt eine mit Sahne, Ei und Mehlschwitze gebundene Brühe aus Rindsknochen in die Teller, dazu gibt es Croûtons. Um an die wertvollen Stoffe zu gelangen, müssen die Knochen sehr lange gekocht werden. So wird für Dobriban „das Unzugängliche zur eigenen Schöpfung“.

Für den zweiten Gang ist eine Zutat notwendig, die im Kielwasser der vegetarischen und veganen Ernährung ihren Aufschwung in der westlichen Welt beliebt geworden ist: die aus Asien stammende Sojabohne. Dobriban richtet den Blick auf die Probleme dieses Erfolgs. Die Zubereitung von Tofu hat im Westen keine Tradition, da die Techniken hier nicht entwickelt wurden. Stattdessen machen sich die westlichen Konsumenten die Zutat nach ihren oberflächlichen Vorstellungen „gefügig“.

Wenn die Nachfrage nach bestimmten Zutaten in den westlichen Ländern plötzlich ansteigt, ändern sich natürlich die Produktionsbedingungen: Bei der Herstellung von Produkten aus Soja, wie etwa Sojamilch, entstehen eine Menge Abfallprodukte, die im Westen – im Gegensatz zur japanischen Tradition – kaum Verwendung finden. Dies ist der Fall bei Okara, dem zweiten Gericht des Abends. Die Konsistenz erinnert an Püree und der Tofu ähnliche Geschmack wird mit Pilzen und Gemüsestreifen verfeinert.

Mit dem als Zwischengericht servierten „Erba Cotta“ wendet sich Dobriban gegen den Frischewahn, der zwangsläufig mit einer Kultur des Wegwerfens einhergeht. Für dieses Gericht werden (aufgrund ihrer ständigen Verfügbarkeit) „wertlose“ Gewächse wie Blätter von Blumenkohl und Radieschen, wie Karottengrün und sogar das als Unkraut gescholtene Giersch verwendet. Sie werden lange – zu lange, als dass man noch von einer vitaminschonenden Zubereitung sprechen könnte – zu einem Mus gekocht. Es entfaltet überraschend viele Geschmacksnuancen und wird mit Semmelbröseln bestreut.

Fotos: Arpad Dobriban

So wie das Erba Cotta ein Resultat der Nutzung der gesamten Pflanze ist, erfordert die Hauptspeise des Abends – Rinderbäckchen und Ochsenschwanz – ein besonderes Wissen. Hier geht es um die Zubereitung der verschiedenen Teile des gesamten Tieres. Schlüssel ist auch hier die lange Kochzeit, die diese Zutaten bekömmlich werden lässt. Und das Probieren zeigt: Die Geduld wird belohnt mit einem intensiven und aromatischen Geschmackserlebnis. Mit Ricotta gefüllte Pofesen, besser bekannt als „Arme Ritter“, begleiten die zarten Fleischstücke. Interessant ist an diesem Abend die Verwendung verschiedener Formen von altem Brot.

Auch beim süßen Nachtisch spielt die lange Zubereitung eine wichtige Rolle: Serviert wird ein Milchreis aus der Normandie, die Teurgoule, die traditionell bis zu sieben Stunden im Ofen kocht. Man nutzte die noch vorhandene Ofenhitze, nachdem das letzte Brot gebacken war. Dazu gibt es Aprikosenmus, das die Nachspeise um eine fruchtige Note ergänzt. So rundet das Dessert die Speisefolge ab und beschließt eine Reihe ganz besonderer geschmacklicher Entdeckungen.

Was erlebt also ein Teilnehmer von Dobribrans „Kommentierten Speisefolgen“, neben dem Genuss köstlicher Gerichte und der (Wieder-)Entdeckung vergessener Zutaten? Es ist sicherlich die Erinnerung, dass gutes Essen nicht beiläufig sein kann. Bei Arpad Dobriban geschehen die Zubereitung und der Genuss von Speisen bewusst, und zwar auf allen möglichen Ebenen. Auch wenn dies im Alltag nicht die Regel sein kann, erinnern die Abende mit Dobriban daran, Zeit und Bewusstsein für Essen einzufordern – auch wenn bequeme Fertiggerichte beständig locken.


Arpad Dobriban - WARTESYSTEM 7
11.09.2016 - 22.01.2017
K21 Ständehaus