Kunstsammlung NRW
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"Modernités Plurielles": Die Kuratoren der Kunstsammlung zu Besuch in der neuen Sammlungspräsentation des Centre Pompidou

Ein Reisebericht für #32 von Nora Lukacs.

An einem der ersten heißen Sommertage diesen Jahres machte sich das Kuratoren-Team der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen fast vollständig auf dem Weg nach Paris, um die kontrovers diskutierte neue Sammlungspräsentation des Musée national d’art moderne gründlich unter die Lupe zu nehmen.

Im Kontext des aktuellen Kunstdiskurses hatte das staatliche Museum eine Revision der eigenen Sammlung unternommen und im Herbst 2013 die Ausstellung Modernités Plurielles 1905−1970 eröffnet: Dank des geographisch und zeitlich vergrößerten  Rahmens wird die Geschichte der modernen Kunst neu erzählt. Zu entdecken sind hunderte von Kunstwerken, die alle Teil der Sammlung sind, zuvor aber nie oder nur selten gezeigt wurden. Sie stammen von Malern, Bildhauern, Fotografen aus 47 Ländern der Erde und eröffnen neue Perspektiven, lassen bis dahin unbekannte Zusammenhänge deutlich werden. Durch diese sichtbar kritische Interpretation des Kanons wird − noch bis zum 26. Januar 2015 − eine bisher unbekannte Vielfalt der klassischen Moderne präsentiert.

Die Grundzüge der Ausstellung, die Simultanität der Ideen und die unterschiedliche Formsprache der geographischen Regionen, werden bereits im didaktischen Eröffnungssaal der Ausstellung deutlich. Amédée Ozenfants gewaltiges Gemälde Die vier Rassen hängt oberhalb einer abstrakten Bronzestatue aus der totemistischen Phase der argentinischen Künstlerin Alicia Penalba: eine Hommage an César Vallejo, den peruanischen Dichter, und seine Ideen einer pantheistischen Liebe. Gegenüber, wie oft in den Ateliers der frühen Kubisten oder bei Ausstellungen der Surrealisten, ist ein „echtes“ afrikanisches Holztotem zu sehen, ohne Autor, undatiert. Ismael de la Sernas Gemälde Europa wirkt wie eine halluzinatorische Gruselphantasie, mit der der Maler bereits 1935 Versklavung und die kommende Katastrophe in Europa voraussieht. Auf einer weiteren Schauwand breitet sich beeindruckend das Panorama internationaler Zeitschriften der Avantgarde (aus dem Bestand der Bibliothèque Kandinsky) von Buenos Aires über Ibadan bis Moskau aus. Dieses durch Publikationen visualisierte Netzwerk von Protagonisten und intellektuellen Knotenpunkten dieser Zeit begleitet als wiederkehrendes Motiv den Besucher durch die gesamte Ausstellung.

Begriffe wie hybrid, lokal, verspätet und anti-modern, die in der klassischen Kunstgeschichtsschreibung bis heute abwertend für Phänomene des 20. Jahrhunderts verwendet werden, fallen im Kontext der gesamten Ausstellung immer wieder: eine bewusste Provokation der Kuratorin Catherine Grenier. Ihre Neupräsentation der Sammlung will vor allem eines sein: ein Ausstellungs-Manifest, Anstoß und Vorbild für die Museen der westlichen Kunstwelt.

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Foto: Nora Lukacs / Kunstsammlung


Über den Dächern von Paris: Sieben Kuratorinnen

Nach dem Ausstellungsbesuch trafen wir die Sammlungsleiterin des Museums, Brigitte Léal, in ihrem Büro. Die Präsentation wurde durch eine mehrjährige Phase der Recherche vorbereitet, erklärte sie uns, in die neben Experten für die einzelnen Themenkomplexe auch Nachwuchswissenschaftler/innen aus der ganzen Welt eingebunden waren. Der Frage nach dem Globalen in der Kunst ist in Paris momentan von zentraler Bedeutung: So etablierte das Pompidou eine eigene Abteilung, die sich, unter der Leitung der documenta X-Kuratorin Catherine David, ausschließlich den Prozessen der Mondialisation widmet. Hier werden vor allem Projekte mit zeitgenössischen Künstlern initiiert und die Expansion des Pompidous in andere Regionen, wie beispielsweise Mexiko oder den Libanon, betreut.

Im Gespräch interessierte uns natürlich auch die Frage nach der Reaktion des Publikums auf Modernités Plurielles, eine Ausstellung, die in den Medien heftig kritisiert wurde. Es ist bekannt, dass das Projekt nun nicht mehr in der originalen Version zu sehen ist, denn einige Räume seit der Eröffnung im Jahr 2013 bereits verändert wurden. Grund dafür ist nicht nur ein neuer Museumsdirektor, sondern auch massive Beschwerden der Besucher, die die „Highlights“ der Sammlung vermissten. Der Kompromiss ist nun eine „Allee der Meisterwerke“, die sich als Mittelachse durch die ganze Schau zieht: mit den so bekannten Werken von Amedeo Modigliani, Giorgio de Chirico, Pablo Picasso und Francis Bacon. Ebenfalls nachträglich in die Präsentation eingefügt wurden Hauptwerke von Henri Matisse und die neuesten Schenkungen.


Globale Kunst Made in France

Bemerkenswert ist, dass ein Großteil der ausgestellten Werke, die so unvertraut und fremd wirken, doch in Paris und Frankreich entstanden ist: Beispielsweise die japanischen Tuschmalereien von Léonard Tsugouharu Foujita, die oft  französische Vorkriegs-Interieurs darstellen, oder die kalligraphischen Abstraktionen des iranischen Künstlers Hossein Zenderoudi. Der Grund dafür, erklärte die Ausstellungskuratorin und jetzige Direktorin der Giacometti Foundation, Catherine Grenier, liege in der Geschichte der seit 1977 im Centre Pompidou beheimateten Sammlung des Musée national d'art moderne. Zwei größere Sammlung fanden hier zusammen: Zum einen die des Musée du Luxembourg, bekannt als Museum für zeitgenössische Künstler, das nationale Kunst sammelte und um 1900 vornehmlich akademisch ausgerichtet war. Zum anderen die Sammlung des Musée des Écoles Étrangères im Jeu de Paume mit seinem Fokus auf ausländische, jedoch in Paris tätige Künstler. In diesem Institut wurden nicht nur Ausstellungen internationaler Künstler organisiert − Picasso, Chagall und Modigliani hatten hier ihre erste Ausstellungen in einem französischen Nationalinstitut –, sondern auch Ankäufe getätigt. Gleichzeitig nahm das Museum Schenkungen an, meist von Künstlern, die vor ihrer Rückkehr in die Heimat die in Paris entstandenen Werke der Stadt überlassen wollten. Zwischen den Weltkriegen wurden dort, nicht zuletzt aus Gründen der Diplomatie, Ausstellungen für befreundete Nationen veranstaltet. So kam es zu umfassenden Präsentationen chinesischer, japanischer, nordamerikanischer Kunst oder auch zu einer Gruppenausstellung europäischer Künstlerinnen, viele der gezeigten Werke wurden anschließend angekauft. Diese Sammlung stellt sich heute als eine wertvolle Bestandsaufnahme der kosmopolitischen Pariser Schule dar, die bis zu dieser aktuellen Präsentation allerdings zum großen Teil dem Blick entzogen in den Depots verwahrt wurde.

Die neue Sammlungspräsentation im Centre Pompidou eröffnet beachtenswerte Perspektiven einer globalen, facettenreicheren Rezeption der Moderne. Es gelingt ihr aber nur bedingt, die eurozentrische Sichtweise und die Hegemonie von Paris als Hauptstadt des 20. Jahrhunderts ausgehend von der eigenen Sammlungsgeschichte zu hinterfragen.


Nora Lukacs ist wissenschaftliche Volontärin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Die gebürtige Ungarin hat sich in letzter Zeit intensiv mit Tendenzen des Globalen in der Moderne auseinandergesetzt.


Website Centre Pompidou