Kunstsammlung NRW
Visions Alive, Foto: Alissa Krusch / Kunstsammlung

Ganz nah ran: Digitalprojekte zum Werk von Hieronymus Bosch

Seine Gemälde wirken wie moderne Wimmelbilder voller schaurig-skurriler Gestalten. Zum Zeitpunkt ihres Entstehens waren sie ihrer Zeit weit voraus, auch heute sind sie so faszinierend und vielschichtig, dass sie im Jahr des 500. Todestages ihres „Schöpfers“ alle Generationen begeistern: Auffällig viele digitale Initiativen und Projekte lassen die Werke von Hieronymus Bosch - auch unabhängig von den großen Ausstellungen in diesem Jahr - in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen hochleben. Zeit, sich das „digitale Revival“ einmal näher anzuschauen.

Für #32 von Alissa Krusch.


2016 kommt man im Feuilleton und im Netz kaum vorbei an den Jubiläumsausstellungen und -initiativen zum 500. Todestag des Malers Hieronymus Bosch (um 1450 bis 1516), dessen Werke in Hamburg, ’s-Hertogenbosch und aktuell in Madrid gezeigt werden. Nur etwa 45 Werke des spätmittelalterlichen Meisters sind bis heute erhalten, die meisten von ihnen Gemälde auf Holztafeln und wenige Zeichnungen. Sie alle sind sehr fragil, dürfen teilweise gar nicht mehr reisen. Zudem war die räumlich begrenzte Hauptausstellung im niederländischen ’s-Hertogenbosch schon wenige Wochen nach ihrer Eröffnung komplett ausverkauft. All denjenigen, die keine der Ausstellungen besuchen konnten oder sich auf die Spur begeben möchten, was die Digitalisierung kann, denen seien die folgenden Websites empfohlen:

Screenshot: http://boschproject.org/

Forschung mit digitalen Mitteln: Bosch Research and Conservation Project

Das Bosch Research and Conservation Project (BRCP) nähert sich dem Thema aus der forschenden Perspektive der Restaurierung: Unter der Website http://boschproject.org/ veröffentlicht das Team sukzessive die seit 2010 geleisteten Forschungsergebnisse. Seit 2013 wurde mit insgesamt 20 Partnermuseen in Europa und den USA kooperiert.

Auf der Website können gleich dreierlei Abbildungen von Bosch-Gemälden in Form einer interaktiven Ansicht miteinander kombiniert werden. Im oberen Feld der Ansicht liefert ein Bild die dem menschlichen Auge sichtbare Oberfläche - allerdings in hoher Auflösung und mit großem Zoom. Die untere Bildfläche ist geteilt und je nachdem wie der Mauszeiger über das Bild bewegt wird, werden eine Infrarotfotografie und eine Infrarot-Reflektographie sichtbar.

Zunächst wurden nur drei Gemälde auf diese Weise online visualisiert (Menüpunkt: Bosch in Venice), kürzlich fügte das Team unter dem Menüpunkt „BRCP book (new!)“ eine weitere Ebene hinzu: Die mehr als 30 Detail-Bilder verschiedener Gemälde ergänzen den kürzlich erschienen Forschungsband im Netz - „in a way that is only possible online.“

 

Screenshot: https://tuinderlusten-jheronimusbosch.ntr.nl/en#

Interaktives Online-Adventure durch den „Garten der Lüste“

Einen interaktiv vermittelnden Ansatz verfolgt der niederländische Filmemacher und Produzent Pieter van Huystee mit einer gleich dreiteiligen Multimedia-Initiative - bestehend aus Film, Virtual Reality-Dokumentation und interaktiver Tour. Die Tour auf der Seite https://tuinderlusten-jheronimusbosch.ntr.nl/en# entführt den User in ein liebevoll und professionell programmiertes Panorama des „Garten der Lüste“ („The Garden of Earthly Delights“), eines der Sammlungshighlights im Prado in Madrid.  Beim ersten Aufruf der Seite darf zwischen freiem Stöbern und einer geführten Tour durch 15 Highlights des Gemäldes gewählt werden. Entscheidet man sich für das freie Entdecken, stößt man vielleicht zuerst auf die nette Animation der ebenfalls hochaufgelösten Abbildungen von inneren und äußeren Gemäldetafeln des Triptichons.

Schon allein das virtuelle Auf- und Zuklappen ist ein Erlebnis, bei dem die digitalen Möglichkeiten diejenigen des Museumsbesuchers vor dem Original übersteigen. Auf der Innenseite markieren Dutzende kleine Lesezeichen Punkte, von denen aus weitere Inhalte angesteuert werden können. Bei einem Klick auf ein Detail zoomt die Abbildung automatisch in die Vergrößerung, ein Audiokommentar und weitere Texteinblendungen gehen auf das Detail ein. Wer lieber liest statt hört, dem wird auf der rechten Seite zusätzlich der Text zur Tonspur angeboten. Die Navigation funktioniert sehr intuitiv, praktisch ist das Erscheinen kleiner Häkchen bei bereits abgespielten Inhalten.

 

Seichte Unterhaltung: virtuelle Bilderschau bei „Hieronymus Bosch. Visions Alive“

Im Februar 2016 machte sich die Zeitung Die Welt zum Erklärungsversuch auf, warum „Boschs Oeuvre schon immer Virtual Reality war“. Diesem Gedanken ähnlich liefert das vermeintliche Bilderspektakel „Visions Alive“ eine multimediale Seherfahrung, die für den klassischen Museumsliebhaber eher ungewohnt daher kommt. In einer Berliner Industriehalle baute das Unternehmen Artplay Media eine Multimedia-Ausstellung auf, die seit dem 6. Juli und noch bis zum 30. Oktober zu sehen ist (Eintritt: 12,50/Erwachsene, weitere Informationen: http://boschalive.com/de/main-de).

Nach dem Durchlaufen eines Vorraums betritt man die eigentliche „Ausstellung“ - zwei Räume mit rings herum stehenden Leinwänden. Ein 35-minütiger Loop nimmt die Besucher, die meisten setzen oder legen sich direkt auf den Boden, um die bestmögliche Sicht zu erhalten, mit in eine komponierte Zusammenschau einzelner Bildelemente. Die Hintergründe des Panoramas sind eher frei an Bildelemente und Landschaften angelehnt und teils in Bewegung versetzt. Und auch im Vordergrund ist einiges los: Vögel beginnen zu fliegen, Fische und Figurengruppen steigen auf dem Wasser auf und eine Eule klimpert uns mit ihren Augen zu. Unterlegt mit leichter Musik fällt es nicht schwer, sich von der Fantasie und Kreativität des Künstlers mitreißen zu lassen. Eine kunsthistorische Einordnung, ein Kommentar oder eine zeitliche oder räumliche Verortung der Gemälde fehlt indes völlig.

Visions Alive, Foto: Alissa Krusch / Kunstsammlung

 

Was bleibt?

Aus Museumsperspektive ist der „Paragone-Streit“ zwischen Original und virtuellem Abbild in vielen Häusern längst entschieden. Das Digitale nutzen, um das zu zeigen, zu visualisieren und zu verknüpfen, was das Original nicht leisten kann. Dennoch natürlich wird auch im digitalen Zeitalter an der Aura des Werkes nicht gezweifelt, der physische Ort des Museums bleibt noch lange erster und wichtigster Bezugspunkt. Digitale Präsentationen aber können einen Einblick in den Kosmos des Künstlers liefern, indem sie Datenbankwissen fruchtbar und sichtbar machen. Auch ist mit höchstauflösenden Bildern ein naher Blick auf selten gezeigte oder extrem empfindliche Objekte, ihre  Rückseiten oder gar weit unter die Oberfläche möglich. Auch können digitale Vermittlungsangebote, Storytelling oder spielerische Ansätze die Faszination für einen Künstler oder sein Werk erst wecken und den bisher nicht vorhandenen Wunsch der Reise zum Original hervorbringen.

All dies lösen die einzelnen Bosch-Projekte auf sehr unterschiedliche Weise ein - vom „harten“ Forschungsansatz bis zum sehr seichten Unterhaltungsformat. Spannend werden sie in der Zusammenschau. Und das alles - bis zum nächsten Museumsbesuch, auf den man sich natürlich in ’s-Hertogenbosch wie Madrid mit umfangreichen Websites vorbereiten kann - zumindest in zwei von drei Fällen vom Schreibtisch aus.


Aktuelle Ausstellungen mit Originalwerken des Künstlers:


Hamburger Kunsthalle
Verkehrte Welt. Das Jahrhundert von Hieronymus Bosch
Bis 11. September 2016
http://www.buceriuskunstforum.de/ausstellung/verkehrte-welt-das-jahrhundert-von-hieronymus-bosch/

Museo del Prado
El Bosco.
(Englischer Titel: Bosch. The 5th Centenary Exhibition)
Bis 11. September 2016
https://www.museodelprado.es/en/whats-on/exhibition/bosch-the-5th-centenary-exhibition/f049c260-888a-4ff1-8911-b320f587324a