Kunstsammlung NRW

App Art: Das Kunstwerk auf deinem Tablet

Kann ein Kunstwerk als App funktionieren? Am 11. Juli wurde im Karlsruher ZKM der App Art Award verliehen – Arnika Fürgut hat sich für #32 eine der vier Gewinner-Apps genauer angesehen und sich plötzlich zwischen Lawinen, Sandbergen und dem Bak-Tang-Wiesenfeld-Modell wiedergefunden.

Lawinen, Sandberge, Reiskörner, selbstorganisierte Kritizität, dynamische Systeme: künstlerisch zusammengefasst als digitale Visualisierung eines physikalischen Phänomens hat die App mit dem Titel „Sablo“ den diesjährigen Sonderpreis „Art & Science“ des App Art Awards gewonnen. Das vierte Jahr in Folge wurde dieser vom ZKM Karlsruhe in Zusammenarbeit mit dem CyberForum e.V.  in vier Kategorien verliehen: „Sound Art“, „Crowd Art“, „Künstlerischer Innovationspreis“ und „Art & Science“ – dotiert mit jeweils 10.000 Euro.


Das Bak-Tang-Wiesenfeld-Modell in seiner schönsten Form: Ernst Uys' "Sablo"

„Sablo“ (2014), entwickelt von Ernst Uys aus Südafrika, wirkt nach der ersten Berührung des monochromen Startscreens wie buntes, flimmerndes Chaos, dessen Pixel und Teilchen sich bei Berührung ständig neu sortieren und wie zufällig in entstehende Bahnen und Richtungen gelenkt werden. Jeder Sortierungsversuch schlägt fehl: einmal angestoßen entziehen sich die dynamischen Teilchen äußeren Einflüssen, die einzig mögliche Maßnahme des Anwenders besteht in der erneuten Produktion von Chaos, dem erneuten Anstoß von Bewegung. Lässt der User den unzähligen Elementen jedoch Zeit, sich selbst zu organisieren, enden sie in einem statischen und re-organisierten Zustand von natürlicher Zufälligkeit: bunte Pixel haben sich zu Geometrien zusammengefunden, die Ordnung ist wiederhergestellt, vorher ist nachher.

Dieses physikalische Phänomen der natürlichen Herstellung von systematischen Ordnungen aus ebenso systematischem Chaos durch unvorhersehbare und gleichwertige Bewegungen trägt den Namen Bak-Tang-Wiesenfeld-Modell, sein Vorbild findet es zum Beispiel in Lawinen und Sandkegeln. Ernst Uys ist es gelungen dieses Modell naturgetreu und digital zu berechnen, zu visualisieren, zu ästhetisieren und partizipativ umzusetzen.

Der Anwender wird zum Auslöser der Lawine, zum Beobachter von Komplexitätssteigerung und -reduktion, Teil des Systems. „Eine grafisch wundervoll gestaltete App, die einem das Thema Chaos und Komplexität einfach und spielerisch vermittelt. Es ist eine Freude zu beobachten, wie das Chaos sich langsam in eine starre Struktur verläuft.“, beurteilt die Jury des Art App Award diese Arbeit.


Ernst Uys' App "Sablo" (2014), Foto: Kunstsammlung

Kann „Sablo“ also als funktionierendes Medienkunstwerk in Form einer mobilen Anwendung gelesen werden? Hat Kunst den institutionellen Rahmen des Museums nun endgültig verlassen, indem sie nicht nur außerhalb rezipiert werden kann, sondern sogar genau dafür gemacht ist? Was folgt auf die Adaption mobiler Endgeräte durch die Kunst? Muss Kunst sich um ein Neues - und wie bei fast jeder Entwicklung der technischen Reproduzierbarkeit - gegen den Vorwurf der Entwertung und dem Verlust auratischer Bedeutungsebenen wehren? Oder ist diese Hürde bereits genommen und das „Sablo“-Icon behauptet sich wie selbstverständlich neben Mailprogrammen, Games und Navigationsanwendungen auf dem Startscreen des Smartphones und Tablets? Greifen wir in Zukunft bedenkenlos in digitale Kunstwerke ein, nur weil wir es gelernt haben, mobile Anwendungen auch anzuwenden?


Zwischen Künstlern, Programmierern und GooglePlay

Festzuhalten bleibt an dieser Stelle vor allem eins: Die Charakterisierung App beschreibt nur die Form des Werkes, welche ihre Haptik im mobilen Endgerät findet. Diese Virtualität und Anti-Materialität ist, besonders was Medienkunst angeht, nicht neu – die Verfügbarkeit, den Zugang, die Reichweite, die Rezeption und die Partizipationsmöglichkeiten betreffend, eröffnen mobile Anwendungen jedoch Möglichkeiten abseits festgesteckter Ausstellungskontexte. Kunstwerke bewegen sich damit in Räume täglicher Sichtbarkeit und Verfügbarkeit, sie könnten endlich zu demokratisierten Alltags- und Gebrauchsgegenständen werden, wie es schon die Pop Art forderte.

Ebenso erweitern Künstler das Repertoire ihres Handwerks wie Malerei, Bildhauerei und Fotografie um Entwicklungs- und Programmierkenntnisse, Programmierer und Entwickler wiederum entdecken Nischen und Schnittstellen zur Medienkunst für sich. Dass sich der Rezipient am Ende dieser Kette zwischen den Stores von Google und Apple entscheiden muss (und nicht für eins der Museen seiner Wahl) scheint nur die logische und demonstrative Fortführung des digitalen Fortschreitens in allen Gesellschaftsbereichen.

„Alles was digital sein kann, wird digital werden“, sagt Nicholas Negroponte, amerikanischer Informatikprofessor und Medienwissenschaftler. Die Kunst ist jedenfalls schon auf dem Weg dorthin.


Arnika Fürgut ist Volontärin der Digitalen Kommunikation der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Sie interessiert sich nicht nur für digitale Interfaces, sondern auch für Schnittstellen zwischen Kunst, Wissenschaft und Technik.

App Art Award
http://www.app-art-award.org/

App "Sablo":
http://disportium.com/

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