Kunstsammlung NRW
Foto: Tadashi Kobayashi © Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
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#32 trifft: Tadashi Kobayashi

Tadashi Kobayashi (geb. 1976) ist Kurator aus Kobe/Japan und lebt derzeit als Stipendiat des Goethe Residency Programms für drei Monate im Schmela Haus. Im Rahmen des Futur-3-Programms gewährt Kobayashi während seines Aufenthalts in Düsseldorf an zwei Abenden Einblick in die japanische Kunstwelt. Sein erster Vortrag vom 22. Oktober behandelte ausgewählte Arbeiten der japanischen Künstler Seiki Kuroda, Youichi Umetsu und Rokudenashiko. Sein Vortrag thematisierte dabei insbesondere den Umgang mit Nacktheit in der japanischen Kunst und verdeutlichte diesen am Beispiel Ryudai Takanos, eines etablierten japanischen Künstlers. Takanos 2014 gezeigte Fotoausstellung, die entblößte Menschenkörper und Genitalien zeigte, verursachte eine Polizeiintervention unter Berufung des sog. "Obszönitatsgesetz". Der Künstler entschied sich schließlich, die besonders heiklen Werke hängenzulassen und mit Reispapier zu bedecken.

Für #32 traf Deniz Elbir den Kurator Tadashi Kobayashi

 

Herr Kobayashi, warum beschäftigen Sie sich mit dem Thema Nacktheit in der japanischen Kunst?

Weil ich denke, dass - gerade im westlichen und globalisierten Japan - die bloße Existenz des Obszönitätsgesetzes einen labilen Status der Kunst in Japan vermitteln könnte.

 

Wie Sie soeben erwähnten, gilt Japan als eine sehr fortschrittliche und technisierte Nation. Ein wahrscheinlich sehr "westliches" Verständnis von Fortschritt manifestiert sich auch im Umgang mit dem nackten Menschenkörper in der Kunst. Was unterscheidet Japan im Umgang mit Nacktheit in Kunst und Kultur von Deutschland?

Vielleicht fragen Sie sich, wie Kunstwerke, die Nacktheit und Erotik beinhalten, legal in der Öffentlichkeit gezeigt werden können? Ein Präzedenzfall aus dem Jahr 1969 mündete in einem Erlass, der besagt, dass erotische und nackte Bilder sich durch hohe künstlerische Qualität ihrer eigenen Obszönität entledigen. Ausgetragen wurde dieser juristische Rechtsstreit an der Veröffentlichung der Übersetzung des Romans Histoire de Juliette ou les Prospérités du vice von Marquis de Sade. Obwohl dieser Präzedenzfall originär Obszönität in der Literatur behandelte, wird der Beschluss gegenwärtig auch auf Abbildungen übertragen. Meiner Meinung nach beinhaltet dieser Ansatz das Risiko, die Definition von Kunst den juristischen Autoritäten zu überlassen.

Darüber hinaus aber gibt es ein anderes Problem: Wir haben einen offensichtlichen Doppelstandard im Umgang mit und in der Beurteilung von Nacktheit. Einerseits gibt es eine Fülle an Abbildungen für das (heterosexuelle) männliche Verlangen. Andererseits jedoch, gibt es den wesentlich strengeren Ansatz im Umgang mit anderweitigen Abbildungen, die Nacktheit thematisieren. Dies verdeutlichte der Fall von Rokudenashiko (einer weiblichen japanischen Künstlerin die mit Plastiken ihrer Vagina arbeitet, Anm. des Autors). Die Spannungen und Polizeiinterventionen die mit ihrer Arbeit und ihren Ausstellungen verbunden sind, könnten durchaus als ein Problem mit Genderungleichgewicht wahrgenommen werden.

Denn, würde man nun besagte Comics und Magazine konsequenterweise ebenfalls unter Berücksichtigung der Rechtslage betrachten, so wären diese wahrscheinlich illegal. Ich denke, dass bei den Magazinen einfach ein Auge zugedrückt wird und bei den Künstlern Ryudai Takano und Rokudenashiko eben nicht. Dennoch möchte ich betonen, dass wir vorsichtig dabei sein müssen, diese Fälle miteinander zu vergleichen - nur weil die Magazine und Comics ebenfalls Nacktheit abbilden.

 

Warum?

Weil diese Art von Beschwerde die Gefahr bergen könnte, explizite Magazine und Hentai ebenfalls unter juristische Kontrolle zu bringen und schlussendlich sogar Strafe oder gar Haft rechtfertigen würde. Ich verstehe, dass die Beziehung zwischen dem Obszönitätsgesetz und die qua Verfassung garantierte freie Meinungsäußerung im Widerspruch stehen. Wir müssen öffentlich diskutieren, um die Dinge klar, offen und fair zu gestalten.

 

2014 wurden Werke von Ryudai Takano in einer Ausstellung im Aichi Prefectural Museum of Art nach einer Polizeiintervention mit Reispapier abgehängt. Sind Sie der Meinung, dass solche Vorfälle der freien Meinungsäußerung entgegenstehen?

Natürlich denke ich, dass der Fall Ryudai Takanos einen Eingriff in die freie Meinungsäußerung darstellt. Aber ich denke auch, dass es nicht genug wäre, lediglich die Meinungsfreiheit einzuklagen. Japan ist ein Rechtsstaat, in dem eben das Obszönitätsgesetz existiert. Ein Gesetz ist ein Gesetz, wie unerwünscht und lästig es auch sein mag. Was wir brauchen ist eine öffentliche Debatte über die mögliche Abänderung dieses unerwünschten Gesetzes. Wie in anderen demokratischen Nationen, ist auch in Japan die Autorität den Menschen übertragen. Die gesetzgebende Gewalt liegt in der Nationalversammlung und seine Mitglieder sind unsere Vertreter.

Und ich möchte an dieser Stelle Ryudai Takanos Umgang mit den polizeilichen Auflagen loben: Er machte das Problem in einer sehr cleveren - und ich wage zu behaupten - einer sehr künstlerischen Weise öffentlich.

 

In Japan gibt es Stimmen die fordern, dass die Meinungsfreiheit auf Grundlage der Geschichte, Tradition, der öffentlichen Ordnung und Moral reguliert werden sollte. Gibt es rechtliche Grundlagen, die zwischen künstlerischem Wert und Obszönität unterscheiden? Wie wirkt sich das auf die Kunstpraxis und die Arbeit eines Kurators aus?

Ja, diese Forderungen gibt es. Andererseits ist es kein niedergeschriebenes Gesetz, sondern "lediglich" der erwähnte Präzedenzfall von 1969 und die damit verbundene juristische Anordnung. Genaugenommen soll das Obszönitätsgesetz eben nur Obszönität verbieten und hat keinerlei Bezug zur Definition von Kunst. Heute scheint das Obszönitätsgesetz veraltet, weshalb einige über eine Abänderung oder Abschaffung diskutieren. Wie ich eingangs erwähnte, ist es in Japan sehr einfach an pornographische Inhalte zu gelangen, demnach funktioniert die eigentliche Absicht des Gesetzes also nicht. Allgemein die ist freie Meinungsäußerung durch Artikel 21 der japanischen Verfassung gesichert und gilt natürlich für alle Einwohner Japans.

Aus kuratorischer Sicht denke ich nicht, dass die Kunstpraxis im Auge des Gesetzes reguliert werden sollte. Der Gesetzgeber darf und kann nicht bestimmen wer ein Künstler ist, was Kunst ist und wie künstlerische Werte bemessen werden können. Deswegen glaube ich, dass die verfassungsmäßige Meinungsfreiheit genügt.

 

Wie sehen Sie die kuratorische Praxis in Düsseldorf oder Europa im Umgang mit Nacktheit? Können wir etwas von der japanischen Praxis lernen, oder umgekehrt?

Ich denke, dass es in Europa kaum Einschränkungen oder Hindernisse im Umgang mit Nacktheit gibt. Auch bin ich ein wenig neidisch darauf, dass hiesige Museen und Institutionen offenbar nicht so sehr von Kunst- und Kulturkritik und Besucheransprüchen abhängen. Zumindest machen sie beim Verteidigen ihrer kuratorischen Arbeit einen sehr selbstsicheren Eindruck. Im völligen Gegensatz dazu sind Institutionen in Japan in ständiger Sorge um ihre Reputation und vermeiden jegliche Art von Skandal. Das geht soweit, dass sie manchmal sogar Selbstzensur betreiben. Offenheit und Selbstbewusstsein in der kuratorischen Praxis sind die besten Eigenschaften, die ich von Europa lernen kann.

Und umgekehrt? Es scheint, dass in Europa und Deutschland die Kunst im allgemeinen Verständnis sehr etabliert ist. Nicht nur als grundlegende menschliche Aktivität, sondern auch als eigene Kunstwelt. Soweit sind wir in Japan noch nicht. Deswegen aber haben wir viele Aktivitäten, die die Grenzen der Kunst ständig herausfordern und erweitern, was ich sehr aufregend finde. Diese Instabilität muss eben nicht immer nur ein Nachteil sein, sondern kann vielmehr als eine Art Vorteil im Sinne einer Alternative zur authentischen europäischen Kunstszene verstanden werden. Manche mögen meinen, dass dieser Gedanke eine Art Orientalismus beinhalte. Dem stimme ich ebenfalls zu.

 

Das Interview wurde in englischer Sprache geführt und durch den Autor ins Deutsche übersetzt.

 

Der Mitschnitt des Vortrags im Rahmen des Futur-3-Programms ist hier zu sehen.