Kunstsammlung NRW
Laymert Garcia dos Santos, Foto: Kunstsammlung

#32 trifft: Laymert Garcia dos Santos

Laymert Garcia dos Santos ist Stipendiat des Goethe Residency Program an der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Von Januar bis März 2016 lebt er im Schmela Haus in der Düsseldorfer Innenstadt.

Garcia dos Santos ist Essayist und Professor an der Universität in Campinas im Bundesstaat São Paulo, Brasilien. In den 1970ern lebte er in Paris, wo er einen PhD in Informationstechnologie erwarb. Zwischen 1992 und 1993 hatte er eine Gastprofessur am St. Antony’s College der Universität Oxford. Er hat umfangreich über Kunst, Kultur und Technologie publiziert.

Für #32 traf Melanie Vietmeier ihn zum Gespräch.

#32: Laymert Garcia dos Santos, herzlich willkommen in Düsseldorf. Welche Erwartungen haben Sie an Ihre Kuratorenresidenz?

Meiner Meinung nach ist die Residenz eine einzigartige Möglichkeit, einen Einblick in und ein Verständnis für die Kunstszene in Nordrhein-Westfalen, vor allem in Düsseldorf, zu gewinnen. Der mehrwöchige Aufenthalt im wunderschönen Schmela Haus, die Möglichkeit die aktuellen Ausstellungen in K20 und K21 zu besuchen und Ideen mit den Kuratoren auszutauschen sowie der Besuch von Einzelpräsentationen in Galerien und anderen Museen ermöglicht mir herauszufinden, warum moderne und zeitgenössische Kunst hier so bedeutend wurde und wie die öffentlichen Institutionen der Stadt es geschafft haben, Künsterleben zum Teil des Alltags zu machen.


#32: Sie haben in Düsseldorf bereits an der Konferenz “museum global? Multiple Perspectives on Art, 1904–1950” teilgenommen, die vom 20. – 22. Januar in der  Kunstsammlung NRW stattgefunden hat. Was waren bleibende Eindrücke für Sie?

Besonders interessant war die Beziehung zwischen moderner Kunst und „Alterität“ [otherness]. Die Problematik beginnt natürlich mit dem Kubismus und Primitivismus, aber es scheint, dass das „Andere“ sich nicht nur auf die Entstehung von ethnischer Kunst bezieht, wenn wir uns im Sinne von Rimbaud daran erinnern „Je est un autre“  („Ich ist ein anderer“). Es geht über die Formfrage hinaus. Hinsichtlich der Distanzierung von klassischen Darstellungsweisen bedeutet modern zu sein auch irgendwie das „Primitive“ nachzuvollziehen.

Deshalb war ich begeistert, als Monica Juneja das Bildbeispiel Self Portrait as Tahitian von Amri Sher-Gil zeigte. Die indische modernistische Künstlerin stellt darin heraus, dass sie das „Andere des Anderen“ sei. Und zwar sowohl als Schaffende als auch als Model... Daher kehrt sich für mich die Perspektive um: sich mit dem „Anderen“ zu identifizieren ist nicht nur eine Problemstellung, die Künstler der Peripherie beschäftigt, sondern auch Europäer. Wenn wir diesen Aspekt in Betracht ziehen, wäre ein erweiterter Modernismus noch komplexer und reicher.


#32: Medienberichten zufolge sieht sich Brasilien zur Zeit sowohl mit schwerwiegenden wirtschaftlichen als auch politischen Schwierigkeiten und Herausforderungen konfrontiert. Wie würden Sie die Situation für die Künste in Brasilien beschreiben?

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts ändert und verbessert sich das brasilianische Kunstsystem aufgrund  äußerer und innerer Faktoren. Globalisierung erleichterte brasilianischen Künstlern und Kunstwerken im Ausland gezeigt zu werden; technologische Entwicklungen und das digitale Zeitalter eröffneten neue Möglichkeiten für die Förderung brasilianischer Kunst und die Zirkulation von Informationen und Wissen.

Zudem gab es staatliche Initiativen, große Teile der armen Bevölkerung in das wirtschaftliche, politische und soziale System zu integrieren sowie Strategien zu entwickeln, Zugang zu Kultur zu ermöglichen und Anreize für kreatives Schaffen zu geben. Die ökonomische Entwicklung, der neue geopolitische Status Brasiliens und ein wiederentdecktes Interesse an der Diversität brasilianischer Kultur schuf ein positives Klima, das der São Paulo-Biennale neuen Aufschwung brachte, den lokalen Kunstmarkt stärkte und die Gründung privater Galerien sowie Kultur- und Kunstinstitutionen begünstigte. Die aktuelle politische und ökonomische Krise scheint diesen Trend zu schwächen – aber meiner Meinung nach sieht die Zukunft nicht so düster aus, wie die brasilianischen Medien sie ausmalen.

 

Im Rahmen des Futur 3-Programms im Schmela Haus präsentierte Garcia dos Santos bereits im Januar die unter seiner Mitwirkung als kulturelles Experiment entstandene Multimediaoper Amazonas – Music Theatre in Three Parts. Diese Kooperation von europäischen und brasilianischen Forschern sowie Bewohnern des Yanomami-Dorfes im Amazonas thematisiert nicht nur die Konsequenzen der Zerstörung des Regenwaldes, sondern berührt auch Fragestellungen wie das Verhältnis von indigener magischer Gedankenwelt und westlicher Wissenschaftsorientiertheit.

Am 18. Februar 2016 wird er seinen Experimentalfilm
Xapiri (2011) über Yanomami-Schamanismus vorstellen. Der Mitschnitt der Vorträge des Futur 3-Programms wird hier zu sehen sein.


Melanie Vietmeier ist Kunsthistorikerin und arbeitet im Rahmen des Forschungsprojektes museum global? für die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Derzeit lebt sie in São Paulo, Brasilien, und wird in Zukunft für #32 regelmäßig aus Südamerika berichten. Das Interview wurde in englischer Sprache geführt und durch die Autorin ins Deutsche übersetzt.