Kunstsammlung NRW
Katharina Sieverding, Foto: Wilfrid Meyer, Düsseldorf

Sieverdings blaue Sonne scheint in Kaufhaus-Schaufenster

„Die Mysterien finden im Hauptbahnhof statt“, konstatierte Joseph Beuys vor zwei Jahrzehnten. Die Mysterien heute, „die finden in einem Lifestyle-Store statt“, sagt Katharina Sieverding. Über den Auftakt der neuen Projektreihe bei der Kooperation zwischen der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen und dem in Stuttgart ansässigen Unternehmen berichtet #32.

In einem Schaufenster des Modekaufhauses Breuninger im Düsseldorfer Kö-Bogen, dem spektakulären Neubau des Stararchitekten Daniel Libeskind, hat die international gefragte Künstlerin ein geradezu magisches Werk geschaffen. Die Sonne um Mitternacht schauen heißt Sieverdings Projektion des tiefblauen, pulsierenden Himmelskörpers, die bis zum 5. Juli 2014 täglich 24 Stunden lang auf einem Bildschirm im Schaufenster direkt am Breuninger-Haupteingang zu sehen ist.

 

Andreas Rebbelmund (Breuninger), Hagen Lippe-Weißenfeld (Kunstsammlung NRW), Katharina Sieverding (Künstlerin), Marion Ackermann (Kunstsammlung NRW), Foto: Wilfried Meyer

Zweistündige Projektion aus NASA-Daten

Rund 100 000 Daten der US-Raumfahrtbehörde NASA hat die Düsseldorfer Künstlerin genutzt, um die mehr als zweistündige Projektion als ihr persönliches Bild der Sonne zu gestalten. Gewaltige Eruptionen lassen die Oberfläche des geheimnisvoll schwebenden Sterns, seit Urzeiten als Lebensquell verehrt, immer wieder neu in Schlieren und Schründen erscheinen; lediglich zwei große Spiegel, in denen wechselnde Straßenszenen erscheinen, flankieren Sieverdings karge Schaufenster-Installation. Die von der Künstlerin im Cyberspace entdeckten und zum Film montierten NASA-Daten stammen aus dem Zeitraum zwischen 2010 und 2013, die blaue Projektion ist damit ein imaginäres Tagebuch des für die Menschen überlebenswichtigen Sterns.

Das Schaufenster in der Kunst von Dali bis Warhol

Erstmals in mehr vier Jahrzehnten Ausstellungspraxis nutze sie ein Schaufenster und sehe sich dabei klar in einer über Warhol und Dali bis zu Duchamp reichenden Tradition künstlerischer Schaufenster-Gestaltung. „Diese öffentliche Schnittstelle als Erweiterung des musealen Raumes hat mich herausgefordert“, sagt die mehrfache Documenta-Teilnehmerin, deren Werke in vielen großen Museen der Welt ausgestellt werden. Und natürlich seien für sie die Pole Kunst und Konsum anregend: „Ich liebe es, in einem Spannungsfeld zu arbeiten.“

Sein Haus erfülle dieses erste Kapitel einer mit der Kunstsammlung geplanten Reihe von Schaufenster-Ausstellungen mit „Stolz“, sagt der Düsseldorfer Breuninger-Geschäftsführer, Andreas Rebbelmund. Es sei die Gelegenheit, „aus dem Gewohnten eines kommerziellen Modehauses herauszutreten“.

Kunstwerk im Getriebe der Großstadt

Kunstsammlungs-Direktorin Marion Ackermann ist „gespannt, wie die Passanten auf diese eindrucksvolle Arbeit reagieren“. Sicherlich muss sich das Kunstwerk im Getriebe der Großstadt auf ganz andere Weise behaupten, denn bis zu 20 000 Menschen frequentieren täglich die Kaufhaus-Fensterfront: „Diese Diskussion erwarten wir mit Spannung.“ Kritikern der Allianz von Kunst und Konsum hält Ackermann ein Zitat des hochgeehrten Kunsthistorikers Erwin Panofski entgegen: „Sicher ist kommerzielle Kunst stets in Gefahr, als Hure zu enden. Aber ebenso sicher ist nichtkommerzielle Kunst in Gefahr, als alte Jungfer zu enden.“

Katharina Sieverding zeigt unter dem Titel mal d’archive im K21 der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen eine mehrere Ausstellungsräume umfassende Installation, in der frühe und aktuelle Arbeiten, Fotografien und Objekte mit einander verschränkt sind (bis 21. September geöffnet).

Text für #32: Gerd Korinthenberg