Kunstsammlung NRW

Im Zoo der falschen Vögel

Der Dokumentarfilm „Beltracchi - Die Kunst der Fälschung“ bringt den größten Kunstskandal der vergangen Jahrzehnte ins Kino. #32 hat Autor Philipp Holstein um seine Meinung gebeten. Eine Filmkritik für das Online-Magazin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen:

"Im Grunde handelt dieser Film von der Leere, und interessant ist das allein deshalb, weil sich das Nichts hinter der Stirn eines bekannten Menschen ausbreitet: Der Dokumentarfilm „Die Kunst der Fälschung“ stellt Leben und Werk Wolfgang Beltracchis vor. Der bittere Witz liegt nun darin, dass Beltracchi gar kein Werk geschaffen hat. Er wurde bloß deshalb prominent, weil er jahrzehntelang Gemälde im Stil großer Meister malte, Galeristen und Sammler übers Ohr haute, Millionen verdiente und sie nach der Überführung wieder verlor. Viele Bewohner des Dschungelcamps bei RTL haben mehr geleistet.

Einmal wird Beltracchi denn auch gefragt, ob er das alles bereue. Der 63-Jährige antwortet weitschweifig und in so einem Singsang-Sound, aber ohne je zum Kern vorzudringen. Er habe geahnt, dass es nicht mehr lange gut gehe, sagt er, aber er habe sich einen Palazzo in Venedig kaufen wollen, deshalb malte er eben weiter. Man sitzt im Kino und hört zu, und man fragt sich, was mit diesem Menschen los ist, aber man findet nichts, kann ihn nicht fassen, nicht begreifen.

Nach der Verurteilung zu sechs Jahren im offenen Vollzug wegen bandenmäßigen Betrugs soll Wolfgang Beltracchi Schulden in Millionenhöhe haben, jeden Abend muss der Freigänger zurück in den Knast. Tagsüber betreibt dieser traurige Clown indes Selbstvermarktung. Er sitzt in der Talkshow von Markus Lanz, er gibt Interviews und lächelt von der Titelseite der Wochenzeitung „Die Zeit“. Er preist seine Erinnerungen an, den Band mit Briefen, die er an seine ebenfalls verurteilte Frau Helene von Zelle zu Zelle schrieb und nun diesen Film. Man fragt sich natürlich, wie wahrhaftig Liebesbriefe von einem Fälscherpaar sein können und wer das lesen möchte. Und auch der Film hat etwas Fragwürdiges: Regisseur Arne Birkenstock ist der Sohn des Kölner Anwalts von Beltracchi, und das darf als Voraussetzung für ein solches Projekt als ebenso gaga gelten wie der Begriff Kunst im Titel des Films. Der Produktion kann man tatsächlich vorwerfen, sie stelle zu wenig kritische Fragen und lasse dem Fälscher zu viel Raum. Andererseits sind das höchst amüsante 100 Minuten, spannend bis zum Schluss, und bisweilen sogar so traurig, dass man heulen könnte.

Es beginnt damit, dass Beltracchi als Robin Hood inszeniert wird. Der Zuschauer begegnet ihm kurz nach der Verurteilung in seinem Haus in Südfrankreich, das er räumen muss, weil er in den Knast umzieht. Freunde feixen bei einem Essen, Beltracchi habe dem Markt den Spiegel vorgehalten. Gekontert wird das mit Zusammenschnitten von Versteigerungen: 13 Millionen für einen Francis Bacon. "Irre!" Da zwinkert der Filmemacher seiner Hauptfigur noch komplizenhaft zu. Allmählich scheint aber auch Birkenstock müde zu werden. Denn Beltracchi ist von einer Bräsigkeit, die einen wahnsinnig macht. Er verschwindet mit fortschreitender Dauer des Films, seine Umrisse werden unscharf. 1992 nahm der als Wolfgang Fischer in Höxter geborene Sohn eines Kirchenmalers den irgendwie nach Renaissance klingenden Namen seiner Frau an, er schmückte sich gewissermaßen mit fremden Federn, und darunter verschwamm er zur Unkenntlichkeit. Man sieht ihm also beim Fälschen zu, man spürt bei ihm keine Emotion, und ob Max Ernst oder Cézanne – jedes Bild beendet er mit einem Ausruf des Stolzes, den man von Kindern nach dem Toilettengang kennt: "Feddisch!" Ob Max Ernst ein Genie war, will der Regisseur wissen. "Finde ich nicht." Warum nicht? "Eine Idee macht noch keinen großen Maler." Beltracchi kennt den Unterschied zwischen gut und böse, aber er empfindet nichts dabei.

Sicher wird man bald einen Spielfilm über das Thema zu sehen bekommen, der Stoff gibt Großes her: Genialischer Handwerker fühlt sich mit viel Gespür und Feinsinn in die zeitlichen Lücken zwischen zwei Gemälden großer Künstler ein und schafft Neues aus ihrem Geiste. Er betuppt alle und führt das Leben, das er als ehrlicher Künstler nie hätte führen können. Das Problem des Dokumentarfilms ist nun aber, dass man nicht glauben mag, dass ausgerechnet dieser Beltracchi die Vorlage für einen solchen Filou sein soll. Eine Galeristin aus der Schweiz bringt es auf den Punkt, als sie über Beltracchis Aneignung des Malstils von Heinrich Campendonk spricht. In Bildern aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg ahne man die Angst der Künstler, ihre Beklommenheit, das mache die Werke erst groß. Aber bei Beltracchi sei nichts zu spüren hinter den Farben. "Diese Bilder sind leer."

Am Ende bleibt von dem Mann nur mehr eine Hülle. Dann kommt die Stelle, an der man merkt, das Beltracchi sogar sich selbst belügt. Ein Kunstwissenschaftler stellt mit ihm Bilder für eine Ausstellung zusammen. Beltracchi will ein eigenes Bild einbringen, es zeigt einen gefallenen Engel. Der Fachmann mahnt, sowas wollten die Leute nicht sehen, lieber die Fälschungen. Ob das schlimm sei, ob er sehr viel Herzblut in das Original hat einfließen lassen? "Herzblut sowieso nicht", antwortet Beltracchi und zuckt die Schultern. "Bedeutet ihnen Kunst denn nichts?", fragt der andere irritiert. Beltracchi sieht ihn an und sagt: "Nein."

Von Philipp Holstein