Kunstsammlung NRW
Transmediale: Still taken from "Le Clocher de Planpraz Climbing - Watch in HD" by Nevets Films on Youtube. © Artwork by The Laboratory of Manuel Bürger
this & that

Transmediale CAPTURE ALL: Auf der Suche nach der digitalen Zukunft

TRACK SLEEP. TRACK STEPS. TRACK HABITS. TRACK LIFE. CAPTURE ALL: Das Motto des diesjährigen Medienkunstfestivals Transmediale ist schon auf den ersten Blick an Aktualität kaum zu überbieten. Ständige Überwachung durch Regierungen und Geheimdienste und enorme Datensammlungen bei Google und Facebook  sind bereits Fakt – und trotzdem messen wir weiter unseren Puls und zählen weiter unsere Schritte per Fitness-App. Was kommt also nach dem Full Take? Sind Algorithmen unsere nächsten Freunde bei Facebook?

Von Arnika Fürgut für #32

Die Transmediale, 1988 eigentlich als Videofestival im Umfeld der Berlinale gestartet, hat sich in den letzten Jahren als Konferenz und Festival für digitale Kultur und Medienkunst zweifelsohne etabliert – so sehr, dass sie in diesem Jahr fast restlos ausverkauft war. Unter dem Motto CAPTURE ALL ("Alles erfassen") lag der inhaltliche Fokus auf dem Quantifizieren, Analysieren und Sammeln von Daten. Der Full Take, die vollständige Erfassung aller Kommunikationsströme, wurde im Haus der Kulturen der Welt in Berlin vier Tage als Gegenstand einer künstlerischen, soziologischen und ungemein aktuellen Diskussion jedoch nicht nur gewohnt kulturpessimistisch kritisiert, sondern vielseitig beleuchtet und visualisiert. Panels, Screenings und Workshops gliederten sich in drei einfache aber klar zu bezeichnende Stränge: LIFE, WORK und PLAY. Jedes dieser Keywords fungierte als Beschreibung und Koordinate eines Feldes, welches unsere Kultur einerseits definiert, sich andererseits aber durch Digitalisierung, Datafizierung und die Macht der digitalen Algorithmen stark verändert hat – vielleicht sogar ohne, dass wir es gemerkt haben.


Art in an algorithmic world

Flankierend zur Konferenz zeigten die Kuratoren Daphne Dragona und Robert Sakrowski in der CAPTURE ALL EXHIBITION elf internationale künstlerische Positionen, die sich mit den Asymmetrien, Algorithmen und vermeintlichen Irrglauben der datafizieren Welt auseinandersetzen.

So beispielsweise Laurel Ptak, die ebenfalls als Rednerin geladen war, mit ihrem Manifest Wages for Facebook:


Panel "Your Future at Work: Logistics, Rights and Dilemmas" mit Laurel Ptak, Mercedes Bunz, Ned Rossiter and Trebor Scholz, Foto: Transmediale



„OUR FINGERTIPS HAVE BECOME DISTORTED FROM SO MUCH LIKING,
OUR FEELINGS HAVE GOTTEN LOST FROM SO MUCH FRIENDSHIP"


Ptak, Kuratorin und Professorin der New Yorker New School, veröffentlichte 2014 unter dem Titel Wages for Facebook („Lohn für Facebook“) ein Manifest zu Amerikas größtem Social Network, das sie selbst als „not social at all“ bezeichnet. Hierbei geht es jedoch nicht nur um die gewohnt monotone Kritik an der Datenkrake Facebook, sondern – angelehnt an die Frauenrechtsbewegung der 1970er Jahre Wages for Housework – um die Re-Positionierung des Users vom bloßen Konsumenten zum Arbeiter und Produzenten der Inhalte, mit denen Social Networks Kapital und Wert generieren. Mit diesem Seitenwechsel macht Ptak deutlich sichtbar, dass die großen Player der digitalen Wirtschaftswelt mit ihren Serverkapazitäten, Programmierern und Technologien zwar die Infrastruktur schaffen, der wertvolle Inhalt, die Daten, jedoch von uns Nutzern produziert werden – instrumentalisiert durch eine Welt der scheinbaren Happiness, welche Arbeit hinter Begriffen wie Freundschaft, Gaming und Social Networking versteckt:

“To demand wages for facebook is to make it visible that our opinions and emotions have all been distorted for a specific function online, and then have been thrown back at us as a model to which we should all conform if we want to be accepted in this society.

[…] By denying our facebook time a wage while profiting directly from the data it generates and transforming it into an act of friendship, capital has killed many birds with one stone. […]

We want to call work what it is work so that eventually we might rediscover what friendship is.”

Unter www.wagesforfacebook.com kann das komplette und sehr lesenswerte Manifest abgerufen werden, das Medienecho auf diese Initiative war vor allem in den USA enorm.


Jennifer Lyn Morone Inc.: “Bye Bye Data Slavery”

In eine ähnliche Richtung arbeitet Jennifer Lyn Morone: Die amerikanische Künstlerin hat sich  – angelehnt an Unternehmensstrukturen und Businessmodelle digitaler Großkonzerne  – selbst zum Gründer, CEO, Anteilseigner und Produkt des eigenen Unternehmens gemacht.

Jennifer Lyn Morone™ Inc by Jennifer Lyn Morone © Ilona Gaynor


Ihrem Werk Jennifer Lyn Morone Inc. geht die Frage „Was bist du wert?“ voran: Sie vermaß und bewertete sich selbst, ihre Identität und alle Informationen, die sie durch sich selbst generierte und ständig neu generiert. Dazu erstellte sie eine Preisliste ihrer Organe, errechnete den monetären Wert ihres Lebens, ihrer Leistungsfähigkeit und ihrer Ausbildung und versah ihre Wohnung und sich selbst mit Kameras, Geotrackern, Sensoren, Pulsmessern und EKGs.

Mit den gleichen Methoden der Datafizierung und globaler Überwachung, deren sich Regierungen, Geheimdienste und Kapitalunternehmen bedienen, überwacht und quantifiziert Jennifer Ly Morone sich dauerhaft selbst. Dem gegenüber steht der Käufer und Anteilseigner ihrer Incorporation: Er kann sich eigene von ihr generierte Datenpakete kaufen, sich in ihr Wohnzimmer streamen oder einzelne Organe besitzen – sobald es aber darum geht, diese aus dem Unternehmen herauszulösen, muss er sich eventuell mit anderen Anteilseignern einigen.

Jennifer Lyn Morone sagt selbst, sie will dieses Experiment nutzen um herauszufinden, wie weit diese Mechanismen greifen können, wo sich eventuell der worst case verbirgt: Wird sie aufhören zu existieren, wenn jemand mehr als 50% ihrer Incorporation besitzt? Würden andere Shareholder eingreifen oder zustimmen, wenn ein Anteilseigner ihr beispielsweise einzelne Organe entnehmen wollte?



„Did you ever want to be invisible?“

Heather Dewey-Hagborg, amerikanische Künstlerin und Bio-Hackerin, beschäftigt sich in ihrem Werk seit Jahren mit der Schnittstelle zwischen Künstlicher Intelligenz, Überwachung, Naturwissenschaft und Kunst. 2012 begann sie beispielsweise für ihr Werk Stranger Visions DNA-Proben in Form von Zigarettenstummeln, Fingernägeln und Haaren in den Straßen von New York zu sammeln und lies darauf basierend computergenerierte und irritierend realistische 3D-Portraits erstellen.

"Invisible" by Heather Dewey-Hagborg, Foto: biogenfutur.es


Als eine Art eigene Antwort auf dieses Projekt ist ihr auf der Transmediale präsentiertes Werk Invisible zu lesen – hierfür entwickelte sie zwei Substanzen in Form eines Sprays. Der Eraser kann dazu verwendet werden, die eigene DNA von Gegenständen verschwinden zu lassen, der Replacer ersetzt die Leerstelle dann mit Fremd-DNA. DNA-Spuren auf Trinkgläsern oder an Zahnbürsten können so beispielsweise problemlos entfernt werden, umgekehrt muss jede DNA-Probe als eventuelle Manipulation einer Spur gelesen werden, die bisher für unangreifbar galt.

Nicht nur diese drei künstlerischen Arbeiten machen deutlich: Ein Fazit der CAPTURE ALL Transmediale scheint schwer zu ziehen – auch weil viele Fragen dort erst aufgeworfen und diskutiert wurden, einige von ihnen sich sogar momentan noch durch die eigene Unbeantwortbarkeit charakterisieren. Wie definieren wir uns beispielsweise in einer Gesellschaft des Full Takes, in der Wissen, Expertentum und Information durch Algorithmen abgefragt, sortiert und bewertet wird? Was bedeutet Arbeit im digitalen Kapitalismus und wie unterscheiden wir diese noch von Freizeit, in der wir auch pausenlos Content produzieren? Welche unserer gesammelten Informationen und Daten haben wir selbst generiert und zur Verfügung gestellt? Woher kommt das Bedürfnis uns mehr und mehr selbst zu tracken, zu lokalisieren, zu beobachten, zu erfassen, zu analysieren? Wo schauen wir hin, wenn alle Kameras auf uns schauen?

„Die Angst vor staatlicher Überwachung verstellt den Blick auf das, was ist“, sagt Festivalleiter Kristoffer Gansing im Tagesspiegel und trifft den Nagel auf dem Kopf: statt weiterhin Angst und Ablehnung zu schüren, wird der Appell immer lauter genauer hinzuschauen und zu prüfen. Statt Computer, Technologien und Algorithmen als Konkurrenz und Bedrohung zu begreifen (wie sollten sie uns auch bedrohen, bleiben es doch interessenlose Maschinen) sollten wir den Blick auf uns als Produzenten, Rezipienten, Arbeiter, Spieler und Konsumenten richten und schärfen. Termini wie Freundschaft, sozial, Arbeit, Kapital, Konsum und Wissen müssen neu hinterfragt werden. Wir sollten sehr genau hinhören, auch weil – wie Mercedes Bunz in ihrer Publikation Die stille Revolution (2014) treffend schreibt – die Digitalisierung unsere Welt grundlegend verändert, ohne dabei viel Lärm zu machen.

 

Die Transmediale CAPTURE ALL fand vom 28. Januar bis zum 1. Februar im Haus der Kulturen der Welt in Berlin statt. Fotos und Einblicke der Veranstaltung gibt es hier.

www.transmediale.de