Kunstsammlung NRW
Installationsansicht der VIDEONALE.15, Foto: David Ertl
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Wilde Videos: Die Videonale – Festival for Contemporary Video Art in Bonn

Die VIDEONALE.15 geht im Jahr ihres 30. Geburtstags erstmals mit einer thematischen Vorgabe an den Start: Unter dem Titel „The call of the wild“ sind im Bonner Kunstmuseum 38 Videoarbeiten  aus 19 Ländern zu sehen (bis zum 19. April 2015), die von einer Jury aus 1200 Einsendungen ausgewählt wurden. Eine andere Jury wählte am Eröffnungstag der Videonale unter den ausgestellten Arbeiten ein Video für den mit 5.000 Euro dotierten Preis der KFW-Stiftung aus.

Kuratorin Doris Krystof, Mitglied der Preisjury, hat sich für #32 in der Wildnis des Festivals genauer umgesehen und stellt unter anderem das diesjährige Preisträgervideo von  „A Hidden Quiet Pocket“ von Shelly Nadeshi vor.

Der von der künstlerischen Leiterin der Videonale, Tasja Langenbach, ausgegebene Titel "The call of the wild", der schon bei den Zusendungen für eine thematische Vorsortierung sorgte, folgt einer gewissen Entwicklungslogik der Videonale. Denn seit ihrem Umzug ins Kunstmuseum Bonn vor zehn Jahren hat sie sich nach und nach von einem Wochenend-Off-Festival der 1980er Jahre zu einer veritablen Museumsaustellung mit beinahe zweimonatiger Laufzeit gemausert. Als Themenausstellung fokussiert die VIDEONALE.15 den Blick auf einen bestimmten Aspekt, erzeugt inhaltlich passende Begleit- und Vermittlungsprogramme und schafft damit ein komplexes Rezeptionsgerüst für Kritiker und Publikum.

Gut also, wenn, wie jetzt in Bonn, mit einer offenen Kategorie wie dem Wilden operiert wird, die unterschiedlichste Aspekte miteinander vereint: das Animalische und das Ungezähmte, das Anarchisch-Rebellische, aber auch den Traum, das Andere und das Fremde - ein thematisch weiter Bogen!

Der Katalog zur VIDEONALE.15, Foto: Krystof/Kunstsammlung

Dass dieser Bogen vom Ausstellungskonzept präzise gefasst ist, macht das Katalogvorwort deutlich, dem ein Zitat der Anglistin Jack Halberstam, eine der profiliertesten Theoretikerinnen Nordamerikas im Bereich der Gender- und Queer Studies, vorangestellt ist: „The wild and the fantastic“, so Halberstam, „enter the frame of visibility in the form of of an encount between the semi-domestical and the unknown, speech and silence, motion and stillness. Utimately, the revolutionary is a wild space where temporality is uncertain, relation is improvised, and futurity is on hold.“

Tasja Langenbach begreift mit Halberstam Wildnis als „explosiven Ort des Dazwischen, an dem sich die Kategorien in Auflösung befinden, während neue Kategorisierungen noch nicht gefunden sind, vielleicht auch gar nicht gefunden werden wollen.“

Diese Formulierung stellt zweifellos schon alleine im Hinblick auf die akuten technischen, bildpolitischen und kommerziellen Implikationen des Bewegtbildes eine treffliche Metapher zur Charakterisierung von internationalen Videoarbeiten aus den vergangenen zwei Jahren dar. Dass die Vorgabe eines Themas dennoch einen sinnvollen Filter darstellt, zeigt sich ganz pragmatisch an der reduzierten Anzahl der eingereichten Videos. Denn in all den Jahren zuvor herrschte bei den ohne jegliche thematische Eingrenzung konturierten Einreichungen bisweilen ein wirklich wildes Durcheinander an internationaler Videokunst, deren einziges Aufnahmekriterium darin bestand, dass sie nicht älter als zwei Jahre sein durfte.

Das Wilde in der Präsentation und Architektur

Das Wilde als thematische Kategorie der VIDEONALE.15 hat auch in der Präsentation der 38 Videos ihren Widerhall erfahren. So erklärt der Katalog: „Auch die Ausstellungsarchitektur der VIDEONALE 15 , gestaltet von Ruth M. Lorenz maaskant Berlin, greift dieses Gefühl der Unsicherheit auf und hinterfragt mit ihrer Anordnung der Displays im Raum gewohnte Blickachsen und Perspektiven.“
 

Installationsansicht der VIDEONALE.15, Foto: David Ertl

Tatsächlich prägt die Ausstellung ein gehöriger Mix an Bildern und Tönen. Unterschieden wird zwischen Projektionen auf großen, schräg gehängten Platten, und schräg auf den Boden gestellten kleineren Flachbildmonitoren, die zwischen oder hinter den großen Projektionen im Raum verteilt sind. Von jedem Punkt in der Ausstellung aus sieht man mindestens drei, aber auch durchaus einmal bis zu zehn flackernde Videobilder gleichzeitig. Dabei lässt sich weder ein Grund für die jeweilige Nachbarschaft der Arbeiten erkennen noch gibt es eine Begründung dafür, warum das eine Video auf einem Monitor läuft und ein anderes als Großprojektion.

Die in den Räumen verteilten schlichten Hockerstelen lassen eher eine ästhetische Vorliebe für minimale Möblierung erkennen, als dass sie eine adäquate, auf die bis zu zwei Stunden langen Videos abgestimmte Sitzmöglichkeit bieten. Im Hinblick auf die bei Videoausstellungen stets prekäre Überlappung des Sounds erzeugt die Nivellierung durch ein einheitliches Ausstellungsdesign vollends eine mediale Verwilderung. Trotz aller einschlägigen Beschäftigungen, Symposien, Panels, und Experimenten zur Ausstellungsarchitektur in Videoausstellungen in den vergangenen Jahren scheint das Thema kaum zu bändigen zu sein.

Installationsansicht der VIDEONALE.15, Foto: David Ertl

Dabei wirken die acht Museumsräume in Bonn auf den ersten Blick durchaus apart, multiperspektivisch, offen, zur Erkundung der Videos einladend, ohne eine Richtung vorzugeben. Doch auf den zweiten Blick mutet das Display wie ein reichlich überladener Wühltisch an, auf dem man gut suchen muss, um das Richtige zu finden – und sich hoffentlich dann auch drauf konzentrieren kann. Man möchte nicht gleich wie Roger M. Buergel auf der documenta 12 alle Videoarbeiten aus dem Ausstellungsraum ins Kino verbannen, doch womöglich würde eine reduzierte Anzahl von installativen Videoarbeiten in den Ausstellungsräumen und parallel dazu ein Screening-Programm in einem gedämmten Raum mit Bänken, Sesseln oder Sofas Möglichkeit für eine jeweils auf die künstlerische Arbeit abgestimmte Rezeption sorgen.


Das jeweils spezifisch Wilde: Die Künstlerinnen und Künstler der diesjährigen Videonale

Denn dass es nur um eine spezifische Wahrnehmung jeder individuellen Arbeit gehen kann, dass Videos nicht als große Gruppe „Videokunst“ sondern jedes Tape in der Differenz zu den anderen für sich betrachtet werden sollte, wird in der VIDEONALE.15 deutlich, wo das jeweils spezifisch Wilde der unterschiedlichen Künstlerinnen und Künstler auf unterschiedlichste Weise artikuliert wird.

Etwa in Gestalt der wilden Hunde, die sich an einem gottverlassenen Kriegsschauplatz in der arabischen Wüste zusammenrotten (Wim Catrysse, MSR); oder als subtile Bedrohlichkeit des jederzeit möglichen Mega-Erdbebens am St. Andreasgraben in Kalifornien (The Otolith Group, Medium Earth); dann die von buntem Scheinwerferlicht bestrahlte zu einem müden Haufen arrangierte Heavy Metal Band, die in unterschiedlichen Abständen mit einem ohrenbetäubenden Gitarrenriff ein letztes Lebenszeichen von sich gibt, (Koen Theis, Death Fucking Metal); die unheimliche Künstlichkeit der bis zum Äußersten der Selbstoptimierung getriebenen, mit feuerlodernden Aureolen bekränzten Männer (Constantin Hartenstein, Alpha Male); die eindringliche Annäherung an männliche Jugendliche und Kinder in einem Hort in Mumbay (Udita Bhargava, Imraan, c/o Carrom Club); die in verwilderten Parkanlagen in Athen gestrandeten Flüchtlinge aus Syrien und dem Libanon (Mahdi Fleifel, Xenos).

 
Preisträgerin der VIDEONALE.15: Shelly Nadashi

Schließlich das Preisträgervideo „A Hidden Quiet Pocket“ der aus Israel stammenden Künstlerin  Shelly Nadashi: eine aus den Fugen geratene Bodyperformance mit einem gehörigen Schuss Kapitalismuskritik, wobei sich die Plastizität von Sprache, Bewegung und Sinn zu einer vollständig wahnsinnigen Interaktion zwischen der von der Künstlerin gespielten Dienstleistungskraft einer Masseurin und der von ihrer Mitbewohnerin gespielten kaufkräftigen Massagekundin auswächst.

Aus dem Video: A Hidden Quiet Pocket von Shelly Nadashi, Foto: Krystof/Kunstsammlung

Mit jeder knetenden Bewegung wächst in der Unterhaltung der beiden ungleichen Frauen der Preis der Eigentumswohnung in bester Citylage, während die  wiederholte Beschwörung des berühmten Stücks vom Kuchen (a piece of cake) die einfache Regel versinnbildlicht, dass es Leute gibt, die etwas haben, und andere, die nichts haben – „bigbong“.

Trotz einiger kritischer Bemerkungen zur Präsentation der Videos möchte ich den Besuch der VIDEONALE.15 dringend empfehlen. Bitte auch auf das fantastische Begleitprogramm achten! Die Preisträgerin Shelly Nadashi ist übrigens am Freitag, 6. März um 19 Uhr zu einem Artist Talk mit der Kunstkritikerin Jennifer Allen in der temporary gallery in Köln zu erleben. Dort ist neben anderen Arbeiten auch das preisgekrönte Video „A Hidden Quiet Pocket“ zu sehen.

http://www.temporarygallery.org/pages/termine.html

Text: Doris Krystof

Der 30. Geburtstag der Videonale ist eigentlich schon ihr 31. Denn die Gründung des Videofestivals in  Bonn fand bereits im Jahr 1984 statt. Der in diesem Jahr begangene runde Geburtstag wird im Kunstmuseum Bonn und auf der Website der Videonale mit der Rubrik „30 Jahre – 30 Stimmen“ gefeiert. Journalisten, Autoren und Kuratoren blicken zurück auf die Geschichte des Festivals und schildern jeweils anhand eines historischen Videonale-Werkes.

http://v15.videonale.org/

http://www.videonale.org

Die Hauptausstellung „The Call of the Wild“ im Kunstmuseum Bonn ist noch bis zum 19. April 2015 zu sehen.

http://www.kunstmuseum-bonn.de/nocache/ausstellungen/aktuell/info/ex/videonale15-2359/