Kunstsammlung NRW
Das Foto zeigt Michael Kluth (links) im Gespräch mit Tadeusz Kantor
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Jede Aufführung war eine andere: Gespräch mit Dr. Michael Kluth über das Wirken von Tadeusz Kantor

Tadeusz Kantor war Maler, Theaterregisseur, Kunsttheoretiker, Bühnenbildner und Aktionskünstler. Zum 100. Geburtstag des aus Krakau stammenden polnischen Künstlers zeigen Museen und Kulturinstitute in verschiedenen Ländern Ausstellungen zu seinem Werk.

Dr. Michael Kluth hat Kantor filmisch begleitet und arbeitete eng mit ihm zusammen. Im Gespräch mit Katarzyna Fortuna, der stellvertretenden Leiterin des Polnischen Instituts in Düsseldorf, begibt er sich auf eine Annäherung an das Werk des „polnischen Universalgenies“ Kantor.

Fortuna: Sie sind ein Autor von zwei Dokumentarfilmen über Tadeusz Kantor. Sie haben außerdem ein großes Archiv an Fotos, Dokumenten und den Werken Kantors gesammelt. Woher kommt dieses Interesse an dem Erschaffer der „Toten Klasse”. Und was ist dieses Archiv eigentlich?

Kluth: Ja, das rührt alles von unserer ersten konkreten Begegnung her, 1980 in Florenz. Ich hatte natürlich Kantors „die Tote Klasse“ gesehen, war begeistert und habe nur darauf gewartet, dass er Teil zwei der angekündigten Trilogie „Theater des Todes“  in Angriff nimmt. Und dann waren wir sofort dabei. Natürlich habe ich da einiges aus der Zeit aufgehoben. Obwohl ich ihn bis zu seinem Tod 1990 noch einige Male gesehen habe und wir auch gedreht haben, z.B. „documeta 87“ in Kassel und „Die Künstler sollen krepieren“ in Nürnberg.  Ich habe viele Vorstellungen von ihm besucht, auch ohne dass er es wusste. Da gibt es natürlich noch ein bisschen Material.

Kantor sprach sie immer mit „Pan Kluth“ an, was auf Deutsch „Herr Kluth“ bedeutet.

Ja, er hat sich immer auf Polnisch, Französisch und Deutsch unterhalten. Da musste die Heimatsprache eine Rolle spielen.


Wie haben Sie damals ihre Beziehung zu Kantor empfunden?

Die ersten acht Tage in Florenz waren schrecklich! Mit vielen Diskussionen innerhalb des Teams, ein Großteil der Teammitglieder wollte sogar abreisen. Sie wollten nichts mit dem „Terroristen“ Tadeusz Kantor zu tun haben.  Er ist uns gleich in den ersten Tagen auf den Nerv gegangen. Wir haben Widerstand geleistet. Für ihn war das ungewöhnlich, weil er mit seinem Ensemble umsprang wie ein Diktator. Ich kam aus der 68er Bewegung: Mitbestimmung, Theater, Demokratie, alle sollen mitreden, niemand soll übergangen werden und ich kam dort in einen Zirkel, der das genaue Gegenteil praktizierte.

[…]


Haben Sie ihn beraten?

Das weiß ich nicht mehr im Einzelnen. Wir haben sicherlich darüber diskutiert. Über viele Begriffe die ihn und mich interessierten, seine Ästhetik und seine ganze Einstellung zum Theater, zur bildenden Kunst. Das war für ihn immer eine assoziative Einheit. Mit seinem Kernsatz: „Ich, die Malerei  und das Theater.“ Dazu hat er gesagt: „Ich bin weder der Malerei noch dem Theater untreu geworden, aber es war eben eine Dreiecks-Beziehung, die ich gelebt habe.“  Ich kam ja auch vom Theater. War viele Jahre da und hatte meine Vorstellung von den Leuten, die Ihm wichtig waren. Meyerhold, Piscator, Oskar Schlemmer. Also konnten wir uns darüber verständigen: Was sie wollten, was er nicht wollte oder doch wollte. Und da kam sofort der Zentralbegriff: „Collage!“  Über die Collage hat er seine ganze Kunst bestimmt. Die gab ihm die Möglichkeit der totalen Freiheit. „Ich nehme das aus der Kunst, was mir gerade passt und baue das ein in mein Werk, meine Vorstellung. Und wenn es mir nicht mehr gefällt, dann werfe ich es weg, dann nehme ich etwas anderes.“ Das Prinzip der Collage am Anfang des 20 Jh. hat er verinnerlicht.

 

Wissen Sie wie Kantor dazu stand, dass seine Arbeit gefilmt wurde? Hatte er etwas dagegen, wie z.B. Jerzy Grotowski?

Grotowski, ihn muss man ganz klar in Abgrenzung zu Kantor sehen. Er hat ein ideologisches Theater gemacht. Für ihn war das Theater eine metaphysische Unternehmung. Grotowskis Theater lief  in bestimmten Ritualen ab, denen er sich unterworfen hat. Das hätte, glaube ich, Tadeusz Kantor nie getan! Damit hätte er seine Unabhängigkeit abgegeben. Er sagte immer: „Ich gebe meine Individualität auf gar keinen Fall auf! Weder für ein übergeordnetes Wesen, wie Gott, noch für sonst Jemanden. Ich bin ein Ketzer! Das heißt, ich lasse sogenannte absolute Wahrheiten nicht gelten!“ […]

Eines seiner Lieblingsthemen war immer das Problem der Illusion und der Realität. Er sagte dann Sachen wie: „Pan Kluth, das ist so: Es gibt Gott oder die Natur. Der Natur kann ich nichts entgegensetzen. Sie ist etwas Ewiges, was bleibt. Aber bei Gott, da habe ich eine eigene Chance. Diesem Gott muss ich mich nicht unterwerfen! Ich bin selber dieser Gott und unabhängig. Aus mir selbst heraus entscheide ich, was da an Kunst passiert. Ich mache mich nicht abhängig von einer angeblich vorhandenen überirdischen Macht.“ Das hat natürlich zu vielen Spannungen mit der katholischen Kirche geführt. Ich habe immer wieder bei meinen Besuchen gemerkt, wie die katholische Kirche ein Leben lang versucht hat, gegen ihn zu arbeiten.  […]


Welche Charakterzüge und Eigenschaften von Kantor waren für Sie am wichtigsten?

Die unbedingte Überzeugung, von der Richtigkeit der eigenen Position. Ich habe ein paar bedeutende Künstler in diesem Leben kennengelernt, aber er hat das bis zum Äußersten getrieben. Diese Selbsteinschätzung, diese totale Überzeugung von der Richtigkeit seiner Handlungen. Da ist bei ihm nie ein Zweifel gewesen. Das war eine ungeheuerliche Kraft, die sich auf sein Umfeld übertragen hat. Deshalb sind ihm viele gefolgt. Sie haben gesehen, dass er weiß, wo es lang geht und daran glaubt, egal was passiert. An der Intention und Leidenschaft seiner Arbeit wird es ihm nie mangeln und das ist eine Kraft, die nur wenige haben.


Sie haben bereits mit vielen Künstlern zusammen gearbeitet, sich mit Dramaturgie und dem Theater intensiv beschäftigt und mitgewirkt. Kantor jedoch bleibt extrem wichtig für Sie. Denken Sie, dass die Kunst von Kantor heute noch aktuell sein könnte, auch für Menschen, die seine Stücke noch gar nicht gesehen haben?


Ich glaube, in der gesamten Theatergeschichte hat es nie jemanden gegeben, der in jeder seiner Vorstellungen auf der Bühne war. Seine Vorstellungen waren anders. Nicht, wie man annehmen würde, dass sich die Texte von einer Vorstellung zur anderen unterscheiden würden. Man wusste nie, wie er darauf reagiert, was die nicht professionellen Schauspielerinnen und Schauspieler da machten. Das ist einmalig. Auch Peter Brook, der Kantor über alles schätzt, hat in einem Interview gesagt, dass er wegen seiner Eigenart ein unverwechselbarer Künstler ist. Es ist erstaunlich, wie viele ihm folgten, obwohl er mit den Menschen so „unwürdig“ umgesprungen ist.


Ich persönlich denke, es ist gut, dass die Schauspieler von Kantor seine Stücke nach seinem Tod nicht mehr spielen. Mir fallen hier Assoziationen ein, wie Pina Bausch. Ich habe sie vorher gesehen und das was die Tänzer jetzt machen ist ein ganz anderes Theater. Deswegen finde ich es fantastisch, dass Kantor in Ihren Filmen und unter Ihrer Regie weiterleben kann. Aber sonst reicht es auch. „Keine Wiederholungen“. Es wäre ja unmöglich, ohne Kantor diese Stücke zu spielen.
 

Bei Pina Bausch liegt das anders und das muss man differenzieren. Sie hat an den Stücken, noch nach den sogenannten „Premieren“, weitergearbeitet. Allerdings war sie nicht auf der Bühne und hat nicht in die Abläufe eingegriffen. Diese sind festgeschrieben und können heute durchaus noch gastieren. Bei „Cricot 2“ ist das eigentlich überhaupt nicht vorstellbar, denn da fehlt der Hauptantrieb. Sehr viele gehen da nur hin, um Tadeusz Kantor auf der Bühne zu erleben. Aber ohne ihn? Das ist doch der Kern seiner Arbeit, wo er immer gesagt hat: „Wenn sie anfangen als Schauspieler zu agieren, dann greife ich sofort ein und sage: Keine Wiederholungen! Das wollen wir nicht. Immer wieder das abspulen, was wir jetzt schon ein paar Mal gemacht haben. Das kommt nicht in Frage.“ Insofern ist auch jede Aufführung eine andere gewesen. Das kann man wirklich sonst von niemandem sagen.

Wir leben von der Erinnerung und von ein paar Filmen, die auch reine Erinnerung sind.

 

Die hier veröffentlichten Passagen, die dankenswerterweise für #32 zur Verfügung gestellt worden sind, sind Auszüge aus einem umfassenden Gespräch mit Dr. Michael Kluth
(Interview: Katarzyna Fortuna) im Juli 2015.

 

Dr. Michael Kluth, geb. 1939, Regisseur und Filmproduzent, lebt in Bonn. Den Schwerpunkt seiner Interessen bilden Filme über Künstler sowie die ungarische und polnische Kultur. Seit den Arbeiten zum Film "Die Familie aus Wielopole" aus dem Jahr 1980 blieb er eng mit dem Schaffen von Tadeusz Kantor verbunden.

1997 drehte Kuth den Film "Tadeusz Kantor. Theater des Todes", der bis zum 06.11.2015 täglich um 16.00 Uhr im Auditorium des K20 gezeigt wird. 


Spektakel, Kunst und Leben
Hommage à Tadeusz Kantor
Filmprogramm im K20
Bis 6. November 2015

http://www.kunstsammlung.de/entdecken/veranstaltungen/filmprogramm-spektakel-kunst-und-leben.html


Zum 100. Geburtstag von Tadeusz Kantor widmet das Polnische Institut Düsseldorf dem Künstler in Zusammenarbeit mit Cricoteka in Krakau, dem Kunstmuseum Bochum, dem Neuen Museum Nürnberg, und dem Institut für moderne Kunst in Nürnberg eine Ausstellung, die die Spuren seines Wirkens in Deutschland verfolgt.

Der ewige Wanderer. TADEUSZ KANTOR in Deutschland
Polnisches Institut Düsseldorf
Bis 11. Dezember 2015

http://www.polnisches-institut.de/programm/der_ewige_wanderer_tadeusz_ka,1821/