Kunstsammlung NRW
Detail des Hockers, Foto: Kunstsammlung
making of

Ewiges Leben als Bildsujet: Mirós Hocker wieder entdeckt

Stefan Lüddemann für #32 über einen Fund aus Familienbesitz, der in der Ausstellung „Miró. Malerei als Poesie“ neben dem frühesten der vier Miró-Werke im Besitz der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen besondere Beachtung verdient:


Konnte dem Hocker etwas Besseres passieren, als ein Motiv auf einem Gemälde Joan Mirós zu werden? Eigentlich nicht. Und konnte dem Maler, Miró selbst, Angenehmeres widerfahren, als gerade auf dieses Objekt für sein Bild aufmerksam zu werden? Auf keinen Fall. Den Hocker adelt die Kunst, indem sie ihm zu einem ewigen Leben als Bildsujet verhilft.

Pardon für die allzu modische Formulierung. Denn die Sache mit dem Hocker ist nicht abgetan. Der Hocker ist wieder da, aufgefunden auf einem Dachboden der Familie Miró. Der unvermittelte Kontakt mit dem realen Gegenstand, der schon als gemaltes Sujet rubriziert und damit auf Abstand gerückt war, verblüfft. Diese Verblüffung überkäme heutige Betrachter auch, wenn eines der anderen originalen Objekte wieder da wäre, das die Kubisten so eifrig in ihren Bildkonstrukten verbauten: Zeitungsausriss, Tapetenstück, Eintrittsbillett.


Nun also der Hocker. Er ist der Link zu einer Situation, die hoffnungslos vergangen und nur in der Kunst aufgehoben ist, zum Moment der Schöpfung eines künstlerischen Meisterwerkes. Der Hocker war da, als Miró malte. Das berührt so intensiv wie der erste Schritt in einen Atelierraum, der noch immer so aussieht, als hätte ihn ein großer Maler gerade eben erst verlassen.

Kein Wunder. Der Hocker bewahrt die Berührung. Auf ihm hat das Modell posiert. Mirós Hände haben ihn wohl berührt, als es darum ging, das Modell in die richtige Position zu bringen. Der kreisrunde Hocker mit dem lockenden Schmetterlingsmotiv bewahrt etwas von der Erotik,  die zwischen Maler und Modell zu knistern hat.

Seine über den Abstand der Zeit bewährte Botschaft ist die Körperlichkeit der Kunst und der Menschen, die sie machen. Das befremdet fast in einer Zeit, für die durchgeplante Konzeptkunst zur geschichtlichen Erfahrung, die Vorstellung von multipler Autorenschaft zur Gegenwart gehört. Mit Mirós Hocker weht Wärme durch die ausgekühlten Diskurse der Art World.Heute hat das Möbel aus dem Boudoir alle Chancen, zum schönsten Objet trouvé der Moderne zu avancieren.

Denn als Fundstück drängte er sich Miró wohl geradezu auf. Der Hocker trägt nicht nur das aparte Modell, er trägt - auf anderer Bezugsebene - auch das Bild. Was wäre dessen aufgetürmte Formstruktur ohne das in sich ruhende, also Stabilität verleihende Fransenrondell? Jetzt ist der Hocker wieder da, als stiller Zeuge einer großen Ära der Kunst, als Sprecher für den Eigensinn einer Welt der Objekte, die gegen alle Wechselfälle der Zeiten behaupten. Auch gegen die Kunst.

 

Dr. Stefan Lüddemann
leitet die Kulturredaktion der Neuen Osnabrücker Zeitung / NOZ Medien.


www.noz.de/kunst


Die Ausstellung
Miró. Malerei als Poesie ist noch bis zum 27. September im K20 Grabbeplatz zu sehen.

Zur Ausstellung

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