Kunstsammlung NRW
Günther Uecker in seinem Atelier. Alle Fotos auf dieser Seite: Wilfried Meyer
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„Blattwerk eines halben Jahrhunderts“

Kunstsammlung erarbeitet das Werkverzeichnis für Günther Uecker

Für #32 von Stefan Lüddemann

Florence Thurmes bahnt sich ihren Weg, vorbei an bemalten Tüchern, Nagelobjekten, aufgestapelten Aquarellen und Grafiken. Die Kuratorin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen geht an Fotokästen entlang, aus denen Papierfahnen hängen. „Film Nagelfeldzug 1969“ steht auf eine Fahne, „Musiktheater Lohengrin, Parsifal 1970“ oder „Zero 1961-1989“ auf anderen. Als die promovierte Kunsthistorikerin schließlich vor einer Wand mit endlos aufgereihten Kunstkatalogen steht, hat sie ihn einmal umrundet, „ihren Berg“, wie sie das in der Düsseldorfer Kaistraße verwahrte und dokumentierte Werk Günther Ueckers nennt. In den nächsten drei Jahren wird Florence Thurmes das Werkverzeichnis des Objektkünstlers erstellen. Thurmes wirkte bereits 2015 an jener Präsentation des Zero-Klassikers mit, die einen lapidaren Titel trug: „Uecker“.

Ein Mann, eine Marke, eine Kunstgeschichte. Über ein halbes Jahrhundert Kunstgeschichte sind in Ueckers Düsseldorfer Atelier aufgespeichert. „Ich begrüße Sie hier in meiner Intimsphäre“, sagt der Künstler, dem man seine 86 Jahre in keinem Augenblick anmerkt. Mit wachen Augen schaut er auf seine Werke, immer wieder breitet er euphorisch die Arme aus, wenn er von seinem Werk erzählt. Jetzt allerdings soll dokumentiert werden, was Uecker das „Blattwerk eines halben Jahrhunderts“ nennt. Über 5000 Positionen umfasst sein bisheriges Werk. Das in den achtziger Jahren von Dieter Honisch vorgelegte Werkverzeichnis listet gerade einmal knapp über 1000 „Ueckers“ auf.


„Ein angemessenes Werkverzeichnis Günther Ueckers ist ein Desiderat“, sagt Dr. Marion Ackermann, künstlerische Direktorin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Ackermann verfolgt bei dem Vorhaben eine doppelte Strategie. „Wir wollen ein Buch herausbringen und zugleich Strukturen für ein digitales Verzeichnis anlegen“, erläutert die Direktorin, die die große Uecker-Bibel gemeinsam mit Florence Thurmes im Namen der Kunstsammlung herausgeben wird. Beide Publikationsformen, analog und digital, haben dabei ihren vollen Sinn. Das anspruchsvoll gestaltete Buch soll genau die Materialität von Papier und Schrift aufweisen, um die auch das Werk Ueckers kreist. Der digitale Katalog hingegen öffnet das Werk Ueckers noch weiter für die Forschung. Zudem kann er mit dem noch entstehenden Werk des Künstlers mitwachsen.

Gleichfalls wichtig: Mit dem Werkverzeichnis kann den immer wieder auftauchenden Uecker-Fälschungen besser begegnet werden. Rund ein Dutzend dieser Fälschungen sind nach Angaben des Künstlers bislang bekannt. Zuletzt sei ein Hinweis aus dem Münchener Auktionshaus Ketterer eingegangen, berichtet der Künstler. „Es ist wohl ein Fälscher, der da am Werk ist“, vermutet Uecker, dessen in rund 60 Ländern ausgestelltes Werk rund um den Globus in Museen und privaten Sammlungen verstreut ist. Das Werkverzeichnis soll die verbürgten Arbeiten auflisten.

Das Mammutprojekt wird von der Franz-Dieter und Michaela Kaldewei-Stiftung aus dem westfälischen Ahlen unterstützt. Immerhin 300000 Euro stellt die Stiftung nach den Worten ihres Vorstandsmitgliedes Prof. Dr. Carl-Heinz Heuer für das Werkverzeichnis bereit. „Die Stiftung verfügt über ein Kapital in einem hoch einstelligen Millionenbereich. Aus diesem Kapital wird kunsthistorische Forschung in ausgewählten Einzelprojekten gezielt unterstützt“, erläutert Heuer.

Derweil steht Florence Thurmes hingegen vor einer langwierigen Kleinarbeit. Zunächst arbeitet sie sich durch die rund 1000 Kataloge, die zum Werk Günther Ueckers bislang erschienen sind. „Ich bin bislang bis 1963 gekommen“, sagt die Kunstwissenschaftlerin und zeigt auf die ersten Bände einer viele Meter weiter reichenden Reihe. Thurmes sichtet neben den Katalogen auch die fotografische Dokumentation des Künstlers, in der die Werkzyklen abgebildet sind.

 

 

Günther Uecker mit Marion Ackermann (links) und Florence Thurmes (rechts), Foto: Wilfried Meyer


Während Florence Thurmes das Mammutwerk in Angriff nimmt, arbeitet Uecker weiter an neuen Werken. In seinem Atelier hängen weiße Tücher. Uecker bereitet sie für einen besonderen Akt vor, mit dem er auch ein früh erlittenes Trauma aufarbeiten will. Auf Geheiß der Sowjets musste der damals 14 Jahre alte Günther Uecker am Ostseestrand angeschwemmte Leichen von Passagieren des versenkten Flüchtlingsdampfers „Cap Arcona“ verscharren. An diesen Stellen will Uecker nun die Tücher ausbreiten. „Das Trauma werde ich nicht los“, sagt Uecker, und fügt an: „Kunst kann den Menschen nicht retten, aber mit Kunst ist eine Annäherung an das Humane möglich“.  

 

Aktuelle Ausstellungen mit Werken von Günther Uecker

Günther Uecker - Huldigung an Hafez
Museum Schloss Wolfenbüttel

Bis 14. August 2016

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Galerie Alte & Neue Meister Schwerin
Eröffnungsausstellung des Neubaus

Ab 1. Juli 2016

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