Kunstsammlung NRW

Auf den Plattenteller geschaut: Einblick in die Schellackplatten-Sammlung von Otto und Martha Dix

Der in Berlin lebende Stephan Wuthe nennt sich selbst „Schallplattenunterhalter“, ein Wort wie aus einer anderen Zeit. Die 1920er Jahren haben es dem gelernten Theaterplastiker besonders angetan. Seit seiner Kindheit sammelt er Platten, seit mehr als 25 Jahren gräbt er sich als DJ tief ein in die Musik, den Tanz und das Lebensgefühl von Charleston und Tango, Swing, Rumba und Waltz. Auch Mambo, Boogie und Rock’n Roll gehören zu seinem Repertoire – ebenso wie ein großes Expertenwissen.

Bei einer Veranstaltung kam der leidenschaftliche Sammler in Kontakt zur Otto-Dix-Stiftung und erfuhr von einem Schellackplattenfund aus dem Nachlass des Künstlers. Es entwickelte sich eine fruchtbare Zusammenarbeit, aus der eine im Herbst 2016 erschienene CD mit Lieblingsstücken des Ehepaars Dix entstand.

Ein Gespräch mit Stephan Wuthe für #32.

 

 

#32: Die große Leidenschaft von Otto Dix und seiner Frau Martha für Jazz und Swing sowie ihre große Tanzbegeisterung sind überliefert. Was stand auf der "Playlist" des Künstlers?

Wuthe: Als die Familie Dix über eine Erbschaft von Martha Dix zu einem kleinen Vermögen kam, konnte das Anwesen in Hemmenhofen am Bodensee gebaut werden. Zur Ausstattung gehörte neben einem tragbaren Aufzieh-Koffergrammophon für das Picknick im Grünen auch eine als Rollwagen bewegliche elektrische Musiktruhe von Telefunken, die bei den Hauspartys von Raum zu Raum bewegt werden konnte – damals ein "High-End-Gerät".

Die Schallplatten spiegeln die in Hemmenhofen stattfindenden rauschenden Feste mit damals zeitgenössisch moderner, internationaler Tanz- und Jazzmusik wieder: Tommy Dorsey und Fats Waller gehörten mit ihren amerikanischen Swing-Orchestern genauso dazu, wie die britischen "heißen" Tanzorchester von Nat Gonella und Harry Roy. Für eine gewisse Exotik sorgten Chansons und Rumbas von Tino Rossi, Greta Keller, Marlene Dietrich und den Lecuona Cuban Boys. Auch Potpourris damals aktueller Filmschlager finden sich in der Sammlung. Martha Dix, die wohl exquisit Klavier spielen konnte, besaß ferner Alben des Pianisten Edwin Fischer mit den berühmten Bach-Fugen, aber auch andere Kammermusik.

Laut Jan Dix, dem Sohn des Künstlers, war der von Nat Gonella als Blues mit schöner Trompetensolistik gespielte Titel "Shoe Shine Boy" eine heiß begehrte Aufnahme, die in der Familie sehr geschätzt wurde. Die Platten wurden sämtlich quasi "zu Tode geliebt": Manche der empfindlichen Schellackplatten waren bei den Feiern zerbrochen und später wieder kunstvoll zusammengeklebt, sodass sie – zwar mit Knacken – immer noch gespielt werden konnten.

Otto Dix und Martha in Düsseldorf, Hindenburgwall 3, Oktober 1923, Quelle: Galerie Remmert und Barth, Düsseldorf


#32: Sie sind im Besitz der originalen Schellack-Platten aus dem Nachlass von Otto Dix – wie kam es zu dieser Rarität?

Wuthe: Bei einer Gala-Veranstaltung im Kunstmuseum Stuttgart, die aus Anlass der Übergabe des Bildnisses von Anita Berber stattfand, sprach mich Rainer Pfefferkorn von der Otto-Dix-Stiftung an und erzählte von dem Platten-Nachlass der Dix-Familie, für den die Kunststiftung in dieser Form leider keine Verwendung hatte.

Mir wurde angeboten, die Platten in Basel abzuholen, wenn ich sie digitalisieren und der Stiftung und dem Kunstmuseum Stuttgart als CDs zur Verfügung stellen würde. Daraus wuchs letztendlich auch die im vergangenen Herbst veröffentlichte CD-Zusammenstellung "Atelierfest bei Otto Dix", die mit Hilfe des Kunstmuseums Stuttgart unter Mitwirkung von Jan Dix einen repräsentativen Querschnitt durch die Unterhaltungsmusik der Sammlung darstellt.

Ich bin sehr dankbar, dass mir die Platten anvertraut wurden. Selbstverständlich habe ich später auch für das Otto-Dix-Haus in Hemmenhofen eine Platte freier Wahl als Dauerleihgabe der Ausstellung zur Verfügung gestellt.

 


#32: Schallplatten erleben gerade ein enormes Revival. Was, glauben Sie, fasziniert jüngere Menschen heute an dieser analogen Form der Musikübertragung?

Wuthe: Obwohl es sicherlich praktisch erscheint, per Mausklick auf eine virtuelle Discographie zugreifen und aus dem Internet eine unerschöpfliche Menge an Musik hören zu können, ist es immer noch etwas anderes, ein reales Objekt in der Hand zu halten. Nicht nur die Haptik, sondern auch die analoge akustische Wärme einer Schallplatte dürften hierbei eine Rolle spielen: Ein Knistern und Rauschen wird eher als angenehme Atmosphäre wahrgenommen, denn als störendes Nebengeräusch.

Besonders bei den alten Schellack-Schallplatten fällt auf, dass ein gut erhaltenes Originalexemplar viel plastischer und dynamischer wirken kann, als eine digitalisierte Version derselben Aufnahme. Dennoch hat beides eine Berechtigung und wird nebeneinander für die unterschiedlichen Bedürfnisse bestehen können: Bleibende Sammlung versus vorübergehender Konsumierung...

 

 

Stephan Wuthe, Foto: David Gauffin

 

Wer Stephan Wuthe live erleben möchte, erhält am Abend des 10. Februars im K20 eine Gelegenheit dazu. Im Programm der Ausstellungseröffnung von Otto Dix – Der böse Blick im K20 der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen wird Wuthe einen Einblick in die Dix‘sche  Sammlung geben und Swing der 1920er Jahre auflegen.

DJ Stephan Wuthe ist mit seinem Programm in ganz Deutschland unterwegs, von Tanzschulen bis Nachtclubs reichen seine Auftrittsorte.

Auf seiner Website finden sich neben zahlreichen aktuellen Projekten auch jede Menge Lesetipps und weiterführende Informationen zum Thema. 

http://www.swingtime.de

Mehr über das Werk von Otto Dix und Arbeit der Otto-Dix-Stiftung:

www.otto-dix.de

 

Interview und Redaktion:
Alissa Krusch