Kunstsammlung NRW
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Klassiker mit Einfluss: Rückblick auf die Auslese mit Heike Gefrereis

Auslese Nr. XXV am 31. Januar 2016

Im Januar 2016 zählen wir schon die 25. Auslese im Lokal Lieshout. Die erste Ausgabe im neuen Jahr bestritt Prof. Dr. Heike Gfrereis, Leiterin des Museums am Deutschen Literaturarchiv in Marbach. Kuratorin Maria Müller-Schareck fasst für #32 die Literaturmatinée zusammen.

Die Literaturwissenschaftlerin und Kunsthistorikerin Heike Gfrereis brachte neben einigen zeitgenössischen vor allem alte Texte mit, Klassiker, die seit Jahrhunderten in besonderer Weise Literaten und Künstler beeinflusst haben. Die Liste reichte von einer der ältesten schriftlich fixierten Erzählungen bis hin zu Romanen der Neuzeit: von Homers Ilias und Odyssee, Ovids Metamorphosen über Wilhelm Meisters Lehrjahre von Johann Wolfgang von Goethe, Jean Pauls Siebenkäs, Gottfried Kellers Der grüne Heinrich bis hin zu Christoph Ransmayrs Roman Die letzte Welt (1988). Im Zentrum standen die Fragen: Wie denken und schreiben Schriftsteller und Philosophen über Literatur und die potentiellen Leser? Und: Wie lesen wir eigentlich?

Heike Gfrereis beschrieb eindrucksvoll die von Gottfried Keller erzählte Erweckungsszene zur Literatur, in der der grüne Heinrich 30 Tage lang – ohne Unterbrechung − Werk für Werk aus der Feder Goethes liest. Sie schilderte aber auch, wie wir absichtslos in einem Band mit Gedichten blättern und eine Entdeckungsreise voller Überraschungen antreten. Man agiert – wie Goethe – als ein „Glücksaufschläger“ oder folgt – wie Arno Schmidt − der Nadel des Tages, die sich zwischen zwei Seiten drängt und gewissermaßen zum Orakel wird.

Am Beispiel der Metamorphosen führte Heike Gfrereis vor Augen, wie eine präzise, bildreiche Beschreibung dem aufmerksamen Leser das Sehen lehrt. Und wie einmal beschriebene Bilder sich fortschreiben, wenn sie über die Jahrhunderte gelesen, nachempfunden, neu interpretiert werden.

Zuletzt stellte sie Hans Ulrich Gumbrechts Buch Stimmungen lesen. Über eine verdeckte Wirklichkeit der Literatur (2011) vor und unterstrich nachdrücklich, in welchem Maße jeder Leser, jedes Lesen von Stimmungen abhängt, von innerer Berührung jenseits jeglicher wissenschaftlicher Beurteilung.


Die Leseliste von Heike Gfrereis:

Roland Barthes: S/Z (1970), Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2012

Jorge Luis Borges: Das Handwerk des Dichters, Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013

Johann Wolfgang von Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/6), C.H. Beck, München 2002

Hans Ulrich Gumbrecht: Stimmungen lesen. Über eine verdeckte Wirklichkeit der Literatur,

Carl Hanser, München 2011

Peter Handke: Publikumsbeschimpfung und andere Sprechstücke (1966), edition Suhrkamp,

Frankfurt am Main 2012

Homer: Ilias / Odyssee, übersetzt von Johann Heinrich Voß, Reclam Verlag, Stuttgart 2010

Gottfried Keller: Der grüne Heinrich (1853), Reclam Verlag, Stuttgart 2013

Eduard Mörike: Sämtliche Gedichte, Insel Verlag, Frankfurt am Main/Leipzig 2015

Vladimir Nabokov: Die Kunst des Lesens, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010

Publius Ovidius Naso: Metamorphosen, Insel Verlag, Frankfurt am Main/Leipzig 2014

Jean Paul: Siebenkäs (1797), Carl Hanser Verlag, München 1999

Christoph Ransmayr: Die letzte Welt, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1988

Friedrich Schiller: Die Räuber. Der Verbrecher aus verlorener Ehre, Klöpfer und Meyer, Tübingen 2009

Adalbert Stifter: Der Nachsommer (1857), Insel Verlag, Frankfurt am Main/Leipzig 2015

Das Wasserzeichen der Poesie oder Die Kunst und das Vergnügen, Gedichte zu lesen, vorgestellt von Andreas Thalmayr, Franz Greno, Nördlingen 1985