Kunstsammlung NRW
Il Grande Cretto di Gibellina, alle Fotos auf dieser Seite: Nóra Lukács, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

Worldwide: Il Grande Cretto – Auf den Spuren von Alberto Burri auf Sizilien

Eine kommentierte Fotostrecke für #32

Normalerweise muss man pilgern, um das Schaffen Alberto Burris in all seinen Facetten kennenzulernen. Nur fünf seiner Werke sind in öffentlichen Sammlungen in Deutschland zugänglich, auch der gesamte Nachlass des Künstlers befindet sich bewusst fernab von der Kunstwelt in Città di Castello, der Geburtsstadt des Künstlers in Umbrien.

Wer durch die Ausstellung „Das Trauma der Malerei“ im K21 das Werk Burris wieder entdeckt oder neu kennengelernt hat, dem empfehlen Valerie Hortolani und Nóra Lukács während der Italien-Reise den Abstecher in den äußersten Westen Siziliens. Im entlegenen Gibellina befindet sich das einzige Land-Art-Denkmal des Malers – ein Muss für alle neuen und alten Burri-Fans!

Die Fotostrecke zeigt diese ganz besondere Station ihrer Recherchereise, die  die Kuratorinnen der Düsseldorfer Ausstellung auf den Spuren Burris unternommen haben. Für #32 kommentiert Nóra Lukács eine Auswahl ihrer Lieblingfotos von Il Grande Cretto di Gibellina.

 

 

Auf dem Weg: Die Dächer von Città di Castello in Umbrien

Leonardo da Vincis Prinzip des Sfumato, einer Maltechnik, die Landschaften im Bildhintergrund in einen nebligen Dunst hüllt und alles mit Weichheit umgibt, lässt sich in den Morgenstunden in Città di Castello unmittelbar wahrnehmen. Dem Autodidakt Alberto Burri war diese Bildtradition des 15. Jahrhunderts vertraut, sie war von Bedeutung für sein späteres Werk. In seiner Jugend besuchte er regelmäßig die Fresken der benachbarten Renaissance-Klöster wie Sansepolcro und Assisi.

 

 

Ankunft in Gibellina: Ein gewaltiges Denkmal

Inmitten der verlassenen hügeligen Landschaft Siziliens ist ein Kunstwerk von gewaltigem Ausmaß zu entdecken: das Denkmal Il Grande Cretto (dt. Großes Krakelee) von Alberto Burri. Die Ruinen der erdbebenzerstörten Stadt Gibellina überzog Burri in 1985 mit einer dicken Schicht aus weißem Zement, die von steilen begehbaren Schneisen durchzogen ist.

 

 

(Abb. Screenshot © Google Earth 2016)

Aus der Vogelperspektive wirkt die Arbeit wie eines von Burris Cretti-Gemälden. Heute nicht mehr ganz weiß, verweisen die Zeichen des Alterns vielleicht umso deutlicher auf das erschütternde Ereignis, an das das Denkmal erinnert.

 

 

Schwer zugänglich

Gibellina befindet sich 80 km südlich von Palermo im Inland Siziliens. Bis heute sind die Straßen in der Provinz Trapani oft von Erdrutschen beschädigt. Der Ort ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur schwer zugänglich, am besten mietet man in Palermo einen Wagen, wie wir es gemacht haben.

 

 

Apokalyptische Stimmung

Als wir uns im März 2015 auf den Weg gemacht haben, herrschte ein windiges Unwetter auf Sizilien. Die apokalyptische Stimmung, die das Wetter verbreitet hat, passt gut zu Gibellina und macht diese Bilder so atmosphärisch.

 

 

Zur Entstehung

Die Stadt Gibellina wurde 1968 vom Erdbeben zerstört. Die Gibellinesi lebten etwa zehn Jahre lang in provisorischen Unterkünften in der Nähe ihrer ehemaligen Häuser, bis sie in eine etwa 10 km entfernte neu gegründete Stadt umsiedeln konnten. Gibellina Nuova“, bekannt als „Traum im Werden“, ist geprägt von  öffentlichen Gartenanlagen, postmodernen Gebäuden, breiten Straßen und zahlreichen zeitgenössischen Großskulpturen. Mit dem Fortschritt des Projekts erhielt die neue Stadt immer mehr Künstlerspenden aus ganz Italien, genug für eine Ausstellung im neu erbauten Museum für zeitgenössische Kunst.

 

 

Kunststiftungen für die Bürger

1983 wurde Alberto Burri – ebenso wie Joseph Beuys und weitere Künstler – vom Bürgermeister eingeladen, ein Werk für die neue Stadt zu stiften. Als Burri in der Abenddämmerung über die Trümmer lief, war er von dem Schutt der alten Stadt so überwältigt, dass er entschied, mit dem ursprünglichen Gelände von Gibellina zu arbeiten.

 

 

Aus der Ferne

Schon aus der Ferne ist Il Grande Cretto in der Hügellandschaft zu sehen – ein riesiges Monochrom inmitten der Natur. Die architektonische Skulptur erstreckt sich auf einer Fläche von etwa 8 Hektar.

 

 

Erste Bauphase

Der Bau des Denkmals fand in mehreren Phasen zwischen 1985 und 1989 statt und war abhängig von der Verfügbarkeit finanzieller Mittel. Die Arbeiten kamen zum Erliegen als keine Gelder mehr flossen. 2010 wurde ein Appell von Künstlern, Architekten und Kuratoren unterzeichnet, der zur Restaurierung und Fertigstellung des letzten Abschnitts des Cretto aufrief.

 

 

Fertigstellung

2014 wurden die Arbeiten wieder aufgenommen und das Werk 2015anlässlich des 100. Geburtstags des Künstlers schließlich vollendet. Man kann die neuen, leuchtend weißen Stellen deutlich erkennen. Als wir im März 2015 den Ort besuchten, waren die Bauarbeiten noch nicht abgeschlossen.

 

 

Fernab des Massentourismus

Das Denkmal ist keine Touristenattraktion, bei unserem Aufenthalt waren wir die einzigen Besucher. Man verliert den Partner leicht aus den Augen und begibt sich alleine auf Entdeckungstour in den steilen, etwa schulterhohen Gängen des Beton-Sarkophags.

 

 

Einflüsse Burris

Der Einfluss von Burris Il Grande Cretto di Gibellina auf ein anderes Denkmal ist eindeutig zu spüren: Das von Peter Eisenmans 2005 fertig gestellten Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin.

 

 

Inspirationen


Inspirationen

Wenn man Zeit in der Gegend verbringt, trifft man immer wieder auf Landschaftelemente wie getrocknete Erde oder die historische Grabsteinarchitektur des benachbarnten Friedhofs Gibellinas, der beim Erdbeben erstaunlicher Weise intakt blieb, die Burris Cretti inspiriert haben können.



Weitere Informationen

Mit der Ausstellung Alberto Burri. Das Trauma der Malerei (bis 3. Juli 2016) widmet die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen dem hochgradig individualistischen Künstler eine große Retrospektive, die zuvor im New Yorker Guggenheim Museum zu sehen war.

http://www.kunstsammlung.de/entdecken/ausstellungen.html

Burri feierte bereits früh große Erfolge im internationalen Kunstgeschehen, doch in den letzten Jahrzenten geriet seine aus Materialien statt Farbe gefertigte Malerei etwas in Vergessenheit. Noch zu Lebzeiten gründete er die Stiftung Fondazione Palazzo Albizzini Collezione Burri, die aus zwei Ausstellungsorten besteht. In einem Palazzo wird das Frühwerk des Künstlers, in den riesigen Hallen einer ehemaligen Tabakfabrik sein Spätwerk gezeigt.

http://www.fondazioneburri.org

Im Ausstellungsraum im K21 ist der von Petra Noordkamp produzierte Dokumentarfilm über Il Grande Cretto zu sehen. Die niederländische Filmemacherin ist am 7. April 2016 zu Gast bei Futur 3 und stellt ihr Werk vor.

http://
www.kunstsammlung.de/entdecken/veranstaltungen/futur-3.html


Text und Fotos auf dieser Seite: Nóra Lukács
Redaktion: Alissa Krusch