Kunstsammlung NRW
Museum unter Tage, Außenansicht, Blick auf den Kubus

MuT zur Landschaft - In Bochum sieht man Landschaftskunst untertage

Ein Museum unterirdisch? Die Schweiz hat so eins: in Zürich, das Museum Rietberg, das eine exquisite, außereuropäische Sammlung tief unter der Erde beheimatet. Und in Bochum kann, wer will, ins Schau-Bergwerk des Deutschen Bergbau-Museums einfahren, hinab zu Flöz und Stollen. Eigentlich merkwürdig, dass im regionalen Koordinatensystem von Bergbau und Kohle noch keiner auf die Idee kam, Kunst auch mal untertage zu zeigen.  

Ein Beitrag für #32 von Claudia Posca.

Doch was es bislang nicht gab, das gibt es jetzt: ein neues Kunstmuseum unter der Erdkruste. MuT nennt es sich, für „Museum unter Tage“. Es ist ein Institut, das sieben Meter unter die Erde kriecht, um Landschaft zu schonen - und um Landschaft zu zeigen. Der Ort: Bochum-Weitmar, am Standort der renommierten „Situation Kunst (für Max Imdahl)“. MuT zur Landschaft: Im Reigen von rund 6 000 Museen in Deutschland ist es thematisch spezialisiert und räumlich speziell aufgestellt. Und es ist ein letzter Baustein der 1988/89 privat initiierten „Situation Kunst (für Max Imdahl)“, die seit 2005 als gemeinnützige Stiftung angedockt ist an die Ruhr Universität Bochum zur Förderung einer Praxis-nahen Kunsthistoriker- und Kuratoren-Ausbildung. Das allein schon zeichnet aus. Jetzt kommt mit Kunst untertage ein weiteres Alleinstellungsmerkmal hinzu.

Gustave Courbet, Paysage du Doubs, 1866,
Öl auf Leinwand, 65 x 81 cm

350 Landschaftspanoramen umfasst die vom „Situation Kunst“-Initiator Alexander von Berswordt-Wallrabe und seiner Frau Silke zusammengetragene Privatsammlung mit Werken aus dem 15. Jahrhundert bis heute, ein in Thematik und Dichte funkelndes Juwel. Ab sofort im Einsatz als ständige Lehr- und Schausammlung für Öffentlichkeit und Studenten.

Tatsächlich ist das MuT ein außergewöhnlicher Ort, wo überirdische Landschaftskunst - ein Cézanne darunter, ein Klee - Bilanz zieht: darüber, was es zur Lebenswelt-Planung lohnt, erinnert zu werden. Ausdrücklich und en Detail ist das unser Blick auf Natur und Landschaft.

Was ausgerechnet Landschaftskunst mit der industriell geprägten Region an Rhein und Ruhr zu tun hat, ist so eine Frage. Eine andere: Was diese Beziehung ausmacht? Wer küsst hier wen? Strukturwandel und Landschaft? Natursehnsucht und Renaturierung? Kultur durch Wandel, Wandel durch Kultur?

Zwischenzeitlich sah man die „Situation Kunst“ ein gutes Jahr lang als Gesamtkunstwerk aus Landschaft, Architektur und Kunst gefährdet. Bagger, Baugrube und Lärm bestimmten den Ort. Vor dem Ausstellungs-Kubus wuchsen schachtartige Kastenarchitekturen in die Höhe. Als zu mächtig, als zu präsent im Dunkelschwarz ihrer Eifelbasaltverkleidung drängte sich das Neue auf - Eingangsarchitektur mit Aufzug und Treppenhaus der eine Baukörper, Technologiezentrum zur Versorgung und zum Schutz der Landschafts-Kunst unter Tage der andere.

Bis die Baustelle verschwand und Renommee-Künstler Erich Reusch Hand anlegte, mit einem Händchen für Raum und Parklandschaft. Architektonische Härten mildern und dabei nicht zu spielerisch sein, mag sich der inzwischen 90-Jährige überlegt haben, als er das große, dem Grundriss-Maß der unterirdischen Halle entsprechende, oberirdische Basalt-Split-Feld mit fünf zylindrischen Säulen - zwei signalroten, zwei schwarzen und einer cyanblauen - inszenierte. Dem dritten Baukörper, der in seiner gläsernen Verkleidung wiederum den Glasummantelten Kubus zitiert und als Notausgang für die unterirdische Halle funktioniert, stellte der gewiefte Plastiker einen außerhalb des Neubau-Grundrisses seitlich korrespondierenden Pflanzquader aus wetterfestem Stahl zur Seite.

Insgesamt stehen jetzt mehr als 1300 Quadratmeter Ausstellungsraum zur Verfügung, 2/3 davon bleibt dauerhaft für die Landschaftsmalerei-Kollektion reserviert, 1/3 dient zukünftigen Wechselausstellungen, erarbeitet von Studierenden der Ruhr-Universität. Die Räume selbst sind vier Meter hoch, ausgestattet mit neuester LED-Beleuchtungstechnik und mit ökologisch-ökonomischer Geothermie-Beheizung.

Chaim Soutine, Landschaft bei Cagnes, 1924-25, Öl auf Karton, 53 x 64 cm

Der eigentliche Schatz aber ist: Das MuT hilft Augen öffnen. Wie sich gesellschaftlicher Wandel im Landschaftsbild spiegelt, wie die Kulturlandschaft der Gegenwart zunehmend am Tropf hängt, und wie unsere Sehnsucht nach Nähe zur Natur steigt, parallel zur Entfremdung von der Natur, markiert brennende Themen. „Nichts ist wie es war“, „Nichts wird sein wie es ist“, philosophieren die beiden Neon-Schriftzüge im Treppenhausabgang zur Kunst untertage. Gemälde aus dem Goldenen Zeitalter der niederländischen Malerei erzählen dazu spezielle Geschichten. U.a. Jan van Goyen, Jacob van Ruisdael. Gemälde des 19. Jahrhunderts von Corot, Courbet und Repin auch, Werke des frühen 20. Jahrhunderts von Amiet, Bonnard und Corinth schließen sich an. Und stehen im Dialog mit existentiell erschütternden Arbeiten von Ingeborg Lüscher bis Arnulf Rainer: Landschaft als Sichtung der Welt - uns zum Bilde.

 

Text: Claudia Posca
Fotos: © Situation Kunst

Paul Klee, Die Mauer, 1929, Aquarell auf Bütten, 45,8 x 34,6 cm


Situation Kunst
Nevelstr. 29
44795 Bochum
Mi-Fr. 14-18 Uhr, Sa, So + feiertags 12-18 Uhr

Weitere Informationen:
www.situation-kunst.de