Kunstsammlung NRW
Foto: Katja Illner
this & that

Symbiose statt Konkurrenz: Erfolgsmodell Künstlerpaar

Von Stefan Lüddemann für #32

Der Tod von Hilla Becher gibt Anlass zum Nachdenken über ein Erfolgsmodell: Das Künstlerpaar. Neben all den Künstler-Egos, den Selbstdarstellern und versierten Selbstvermarktern prägt dieses stille Erfolgsmodell die Kunstwelt mit - leise, unaufdringlich und doch maßgeblich.


Bernd und Hilla Becher haben dafür ein prominentes Beispiel geliefert, für kontinuierliche Arbeit im Team. Ihr Auftritt war immer ein gemeinsamer. Bernd und Hilla Becher: zwei Namen, eine Marke. Aber wer hat eigentlich auf den Auslöser der Kamera gedrückt? Von wem sind damit die berühmten Bildserien von Hochöfen und Fachwerkhäusern wirklich? Auf solche und andere Fragen haben die beiden Künstler pragmatisch geantwortet: Beide haben auf den Auslöser gedrückt - und jeweils eigene Fotos gemacht. Sie haben Ihre Bilder offensichtlich miteinander verglichen, sich für eine Version entschieden und die dann gemeinsam verantwortet. So hat es Hilla Becher jedenfalls im Interview geschildert.


Aber muss das wahre Genie nicht einsam sein? Nur in der Isolation kann es große Kunst schaffen. So will es der Mythos. Wirklich? Nein, natürlich nicht immer. Künstlerpaare widerlegen diese Sichtweise auf stille, aber nachhaltige Weise. Sie funktionieren nicht über laute Selbstdarstellung nach außen, sondern mit jener inneren Kraft, die ein symbiotisches Verhältnis schafft. Sie verlagern das Gewicht der Autorschaft, sonst Prüfstein unverwechselbarer Individualität, nicht auf zwei, sondern konsequent auf vier Schultern.


Kreativität kommt bei ihnen aus zwei Köpfen. Genauer gesagt: Kreativität ist bei ihnen keine Sache eines solitären Kraftquells, Kreativität speist sich aus Kommunikation und Interaktion. Antriebe und Operationen des Genies bleiben ein Geheimnis. Bei Künstlerpaaren kann man miterleben, wie Gedanken für Neues entstehen, weil hier das Miteinander von zwei Personen beobachtet werden kann.


So haben Peter Fischli und David Weiss nicht nur den Streit um individuelle Könnerschaft bewusst offen gelassen, sondern mit dem Beginn ihrer Zusammenarbeit 1979 entschieden, lieber von dem Überfluss der Gedanken und Erfindungen zweier Köpfe zu profitieren, als sich auf Modelle der Konkurrenz einzulassen. Das entlastet nicht nur nach innen, das schützt auch nach außen. Das Künstlerpaar funktioniert als Sonderfall der Kunstproduktion auch deshalb so gut, weil es den einzelnen Partner vom Zwang zur Perfektion entlastet. Perfekt ist, was beide machen.


Künstlerpaare müssen allerdings auch als Ausnahmen des generellen Typus Paar funktionieren. Ehekrisen, Eifersucht, Affären, Streit um Dominanz - all das könnte blitzschnell das Aus für ein Lebens- und vor allem Karrieremodell bedeuten, das nur mit zwei Personen und einvernehmlich funktioniert. Unverbrüchlichkeit, die in privaten Lebensmodellen wahrlich nicht immer funktioniert, ist hier Pflicht.


Natürlich gibt es ein prominentes Beispiel für das Künstlerpaar, das sich trennt. Die Performancekünstler Marina Abramovic und Ulay trafen sich nach jahrelanger gemeinsamer Arbeit 1989 zu einem großen Abschiedsmoment auf der Chinesischen Mauer und gingen seit diesem Augenblick getrennte Wege. Ulay blieb buchstäblich zurück. Marina Abramovic machte allein weiter - bis zum Weltruhm.


Bei der gerade verstorbenen Hilla Becher und ihrem Mann und Arbeitspartner Bernd war das anders. Sie hielten nicht einfach nur zusammen, sie funktionierten auch im Team. Die Fotografien von Fachwerkhäusern und Kraftwerken, mit denen sie einen maßstäblichen Stil der dokumentarischen und seriellen Fotografie begründeten, stammen von beiden Künstlern. So wollten es beide, so haben sie es dargestellt. Und das trotz aller internen Aufgabenverteilung.


Auch die legendäre "Becher-Schule", aus der Stars der Fotografie wie Andreas Gursky, Thomas Struth und Thomas Ruff hervorgingen, ist nach Bernd und Hilla Becher zugleich benannt, auch wenn es Bernd war, der die Professur an der Kunstakademie Düsseldorf bekleidete. Zu zweit zur Weltmarke der Kunst: Auch das ist ein Beleg für die Leistungsfähigkeit des Modells Künstlerpaar.


Was passiert nach dem Tod des Partners? Hilla Becher fotografierte nach dem Tod von Bernd Becher 2007 allein weiter. Den gemeinsamen Stil hat sie nicht aufgegeben. Hilla Becher stellte begonnene Projekte fertig, signierte die neuen Aufnahmen weiter mit dem Doppelnamen Bernd und Hilla Becher. Späte Lust auf den Neustart als Solist? Darauf schien nicht nur Hilla Becher keine Lust zu haben. Auch Peter Fischli tut sich mit solchen Allüren nicht hervor.


Solokarrieren passen vielleicht zu Rockmusikern, die ihre Band verlassen haben, aber nicht zu Künstlerpartnern, die nach dem Tod ihres Mitschöpfers allein zurückbleiben. Dieses Schicksal muss Peter Fischli seit dem Tod seines Partners David Weiss im Jahr 2012 bewältigen. Anna Blume ist seit dem Tod ihres Partners Bernd 2011 allein. Christo hat den Tod seiner Partnerin Jeanne-Claude beklagt und plant weiter seine Projekte. Bernd und Anna Blume haben miteinander subversive Bilder wie die Serie der "Vasen-Ekstasen" erfunden und das kleinbürgerliche Lebensgefühl als Brennpunkt geheimer Ängste enttarnt. Peter Fischli und David Weiss - die Kunstwelt kennt sie nur als Fischli/Weiss - haben mit ihren hintergründigen Installationen und Skulpturen die Objektkunst revolutioniert. Christo und die 2009 verstorbene Jeanne-Claude veränderten mit ihren Installationen buchstäblich die Welt. Und nun?


Künstlerpaare halten nicht nur jahrzehntelang durch, sie setzen auch jede Menge neue Paradigmen und Standards der Kunst. Und das ohne jedes Avantgarde-Getöse. Die seriellen Industriefotos der Bechers, die skurrilen Objektwelten von Fischli/Weiss oder die jungen, aus Rumänien stammenden Künstlerzwillinge Gert und Uwe Tobias, die fast im Alleingang den Holzschnitt wieder zum Medium spannender Gegenwartskunst gemacht haben - sie alle liefern Beispiele dafür, wie Erfindungskraft und sogar Spontaneität mit Stetigkeit kombiniert werden können. Ein Widerspruch zur Kunstwelt mit ihren Trends, Moden, Schulen, Strömungen und ihren mächtigen Alphafiguren? Es ist jedenfalls kein Zufall, dass Künstlerpaare meist seriell arbeiten und die Konstanz ihres gemeinsamen Lebens auch in der Struktur ihres Werkes abbilden.


Das gilt in gesteigertem Maß für jene Künstlerpaare, die nicht hinter ihren Werken verschwinden, sondern gleich auch noch ihr eigenes Exponat sind. Gilbert und George sowie Eva und Adele liefern die Musterbeispiele für eine Symbiose, die sich in den Raum der Kunstwelt hinein fortsetzt. Diese Künstlerpaare sind selbst ihr eigenes Werk. Sie posieren als Kunstobjekte - perfekte Beispiele für die vollständige Identität von Kunst und Leben.


Künstlerpaare funktionieren vielleicht deshalb so gut, weil sie füreinander wechselseitig in die Rolle von Schöpfer und Beobachter treten, sich unentwegt ineinander spiegeln. In dieser Konstellation ist jeder dem anderen die sträflich oft zitierte bessere Hälfte. Bernd und Hilla Becher haben auf diese Weise ihre Schwächen ausgeglichen, ihre jeweiligen Stärken bestens ergänzt. Bernd und Anna Blume haben übrigens miteinander Zwillinge bekommen. Ein Zufall? Sicher, aber ein sprechender - für das Erfolgsmodell Künstlerpaar.