Kunstsammlung NRW
Auslese am 5. Februar 2017 mit Stefan Koldehoff und Kuratorin Maria Müller-Schareck (Moderation), Foto: Kunstsammlung

Die kleinen und großen Geschichten der Kunst – von Giorgio Vasari bis Daniel Kehlmann

"Auslese – Bücher für die Sammlung" mit Stefan Koldehoff am 5. Februar 2017

Für #32 von Maria Müller-Schareck

Ohne Zweifel war Stefan Koldehoff, der als Kulturredakteur beim Deutschlandfunk beschäftigt ist, ein idealer Kandidat für unsere "Auslese". Einige zentrale Themen verfolgt der Kunsthistoriker und Germanist seit vielen Jahren, sie durchziehen seine Arbeit wie ein roter Faden: Dazu gehören Leben und Werk des Malers Vincent van Gogh, dazu gehören das vor allem private Sammeln, aber auch das Stehlen und Fälschen von Kunst, dazu gehören vor allem das Geschäft mit der NS-Raubkunst sowie die komplexen Fragen von Provenienzforschung und Restitution.

Mit großer Entschiedenheit plädiert Koldehoff dafür, dass der eigene Blick auf die Kunst von besonderer Bedeutung ist, und dass Kunstgeschichte nicht nur aus Bildern und historischen Fakten besteht, sondern erst durch die vielen kleinen und großen Geschichten interessant wird, die sich um die Bilder ranken; und dass sich vieles erst erklärt, wenn man bereit ist, über den kunsthistorischen Tellerrand zu schauen.

Die von Stefan Koldehoff ausgewählten Bücher lassen sich diesen persönlichen Interessen und Überzeugungen zuordnen: Da ging es um die Rolle der Kunst für die Gesellschaft, um das Beschreiben von (Rainer Maria Rilke) und das Schreiben über Kunst, um private Kunstsammler und um Künstlermythen. Alle diese Themen spielten wiederum eine Rolle in den Romanen, die Koldehoff mitbrachte: Daniel Kehlmann beschreibt das brüchige Verhältnis zwischen Künstler und Biograf (Kaminsky und ich); Martin Suter, mit seiner Figur Allmen, einen gerissenen Hochstapler auf der Suche nach verschollenen Dingen; Fred Vargas den Raub einer Zeichnung von Michelangelo (Im Schatten des Palazzo Farnese).

An den Anfang seiner "Auslese" stellte Stefan Koldehoff den ersten Chronisten der abendländischen Kunst, Giorgio Vasari, der im 16. Jahrhundert begann, Geschichten von Künstlern niederzuschreiben und die Schönheit ihrer Bilder zu preisen. Von der Erfindung des Museums im 18. Jahrhundert (Bénédicte Savoy), seiner langsamen Entwicklung von einer höfischen zu einer bürgerlichen Einrichtung, in der auf sehr unterschiedliche Weise von den diversen Kulturleistungen der Menschen erzählt wird, spannte er den Bogen bis hin zu den heute drängenden Fragen um die Rolle von Museen heute: Wollen wir als Gesellschaft uns Museen noch leisten? Was soll ein Museum im 21. Jahrhundert verhandeln? Wie lassen sich das Potential und die Aktualität von Kunstwerken – immer wieder neu − sichtbar machen? (Walter Grasskamp, Daniel Tyradellis u.a.)

Ebenfalls im Fokus standen exemplarische Geschichten von Sammlern und Händlern, deren Sammlungen durch Enteignung und Raub von den Nationalsozialisten zerschlagen wurden: die Familie Mendelssohn oder die Kunsthändler Heinz Berggruen und Alfred Flechtheim. Die Geschichte solcher Sammlungen berührt unweigerlich die brennenden Fragen von Provenienzforschung sowie Restitution.

Am Beispiel Vincent van Gogh schließlich zeigte Koldehoff eindrücklich, wie ein einziger kunsthistorischer Kommentar einen Künstlermythos zu prägen vermag, den Blick auf ein Werk über Jahrzehnte verfälscht und nur durch intensivste Recherche und Quellenstudium zu korrigieren ist.

Die hochkonzentrierten Zuhörer dankten Stefan Koldehoff mit lange anhaltendem Beifall für seine ebenso kurzweilig wie spannungsvoll präsentierte Auslese.

Leseliste der "Auslese XXVIII" mit Stefan Koldehoff am 5. Februar 2017

  • Heinz Berggruen, Hauptweg und Nebenwege, Fischer, Berlin 1999

  • Gerd Blum, Giorgio Vasari. Der Erfinder der Renaissance. Eine Biographie, C.H. Beck, München 2011

  • Joseph von Eichendorff, Aus dem Leben eines Taugenichts (1826), Anaconda, Köln 2006

  • Walter Grasskamp, Das Kunstmuseum, eine erfolgreiche Fehlkonstruktion, C.H. Beck, München 2016

  • Ralph Jentsch, Alfred Flechtheim – George Grosz. Zwei deutsche Schicksale, Weidle Verlag, Bonn 2008

  • Daniel Kehlmann, Kaminsky und ich, Hanser, München 1987

  • Thomas Lackmann, Das Glück der Mendelssohns. Geschichte einer deutschen Familie, Aufbau Verlag, Berlin 2007

  • Steven Naifeh/Gregory White Smith, Van Gogh. Sein Leben, Fischer, Berlin 2012

  • Hanno Rauterberg, Die Kunst und das gute Leben. Über die Ethik der Ästhetik, Edition Suhrkamp, Berlin 2015

  • Bénédicte Savoy (Hg.), Tempel der Kunst – die Geburt des öffentlichen Museums in Deutschland, Böhlau, Köln 2015

  • Rainer Stamm, Im ersten Augenblick. Rainer Maria Rilke über Kunst, Suhrkamp, Berlin 2015

  • Vivien Stein, Heinz Berggruen. Leben & Legende, Edition Alpenblick, Zürich 2011

  • Martin Suter, Allmen und die Libellen, Diogenes, Zürich 2011

  • Daniel Tyradellis, Das müde Museum, edition körver Stiftung, 2014

  • Wolfgang Ulrich, Gesucht: Kunst! Das Phantombild eines Jokers, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2007

  • Fred Vargas, Im Schatten des Palazzo Farnese, Suhrkamp, Berlin 2016