Kunstsammlung NRW
Das "Theater" von Ralf Brög und Kevin Rittberger an der Heinrich-Heine-Allee. Foto: Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

Die Wehrhahn-Linie – Haltestellen des Alltags

Steigt man im Düsseldorfer Stadtzentrum in eine der U-Bahn-Stationen der Wehrhahn-Linie hinab, lohnt es sich, Augen und Ohren offen zu halten. Über 15 Jahre hinweg haben die Stadt Düsseldorf, Ingenieure, Architekten und Künstler am Bau von sechs U-Bahn-Stationen zusammengearbeitet, die seit ihrer Eröffnung im Februar 2016 mehr als nur Orte des Zwecks sind. Begleiten Sie hier auf #32 unseren imaginären Passanten dabei, wie er in die verschiedenen unterirdischen Welten eintaucht und zum Flaneur an Orten wird, die sonst dem Rhythmus des Alltags folgen.

von Jan-Marcel Müller

 

Im Februar 2016 hat im Düsseldorfer Zentrum ein großes städtebauliches Projekt seinen Abschlussgefunden: Nach 15-jähriger Zusammenarbeit zwischen der städtischen Verwaltung, Ingenieuren, einem Darmstädter Architekturbüro sowie verschiedenen ausgewählten Künstlern sind sechs neugestaltete U-Bahnhöfe auf der 3,4 Kilometer langen Wehrhahn-Linie eröffnet worden. Neben ihrer Zweckdienlichkeit haben sie den Anspruch, ästhetische Erlebnisse zu bieten, die das Kulturamt der Stadt auch mit Führungen wortwörtlich „erfahrbar“ macht. Bemerkenswerterweise wurden in Düsseldorf Kunst und Künstler also nicht am Schluss auf vorhandene städtebauliche Planungen aufgesetzt, sondern waren von Beginn an in die Gestaltung der Stationen miteinbezogen.

Gemeinsam mit unserem imaginären Passanten möchten wir nun diese sechs, von täglich etwa 51.300 Fahrgästen benutzen Stationen erkunden. Er will herausfinden, welche Erfahrungen eine Reise auf der Wehrhahn-Linie bieten kann.

 

 

"Spur X" von Enne Haehnle. Foto: Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

Tritt er die Reise auf der Wehrhahn-Linie von Süden aus an, wird er am Eingang der Station Kirchplatz von orangefarbenen Stahlsträngen in Empfang genommen und zu den Gleisen geleitet. Auf dem Weg nach unten verdichten sie sich und bilden einen reizvollen Kontrast zu dem weißen Hintergrund. Unser Reisender stellt hier vielleicht etwas unbedarft eine Assoziation mit Zuckerguss auf weißer Kuchenglasur her; plötzlich erkennt er aber, dass sich die abstrakt anmutenden Linien zu Wörtern formen. Die veränderte Perspektive lässt die Schriftzüge durch ihre Dreidimensionalität allerdings rasch wieder unlesbar werden. So bleibt die Erfahrung mit den textlichen Inhalten der Arbeit „Spur X“ von der in Leipzig lebenden Bildhauerin Enne Haehnle bewusst flüchtig.

 

 

"Achat" von Manuel Franke. Foto: Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

Die Station Graf-Adolf-Platz konfrontiert unseren Passanten mit ungleich intensiveren visuellen Eindrücken: Die Wände sind hier von durchdringendem Grün, leuchtend, kräftig aber dennoch nicht giftig. Durchzogen wird es von schwarzen und organischen Schlieren, die den Eindruck vermitteln, von oben auf die Algenblüte in einem See zu schauen. Tatsächlich sind die Glastafeln des Düsseldorfer Künstlers Manuel Franke von der Struktur des Achats inspiriert, der titelgebend für seine Arbeit ist. Hier – wie an allen anderen Stationen – bleibt der Blick von störenden Werbeflächen unbehelligt, was die Wirkung der künstlerischen Gestaltung verstärkt. So ergibt sich für den Reisenden ein beeindruckendes Spiel aus Farbe und Form, das gleichzeitig intensiv und organisch wirkt und ihn somit unweigerlich in seinen Bann zieht.

 

 

"Himmel oben, Himmel unten" von Thomas Stricker. Foto: Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

Einen U-Bahnhof weiter, an der Benrather Straße, wendet er den Blick nach oben in den Weltraum. Die Station ist gänzlich mit metallischen Platten ausgekleidet und lässt ihn glauben, er befände sich an Bord eines Raumschiffs, das bald in den Orbit aufbricht. Verstärkt wird dieser Effekt durch Monitore, die den Blick auf Sterne und Planeten freigeben. Hat unser Passant seine Reise ins All also vielleicht schon hinter sich und bewegt sich nun geräuschlos durch die Weiten der Galaxie? Die Arbeit „Himmel oben, Himmel unten“ des Schweizer Bildhauers und Installationskünstlers Thomas Stricker bettet ihn in erhabene Ruhe und bietet ihm gleichzeitig die Möglichkeit an, seinen Alltag gegen die schiere Größe des Alls abzuwägen: Was zählt wirklich angesichts dieser unendlichen Dimensionen? Mit dieser Frage im Kopf geht es für ihn weiter zur Heinrich-Heine Allee.

 

 

Das "Labor" von Ralf Brög und Stefan Schneider. Foto: Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

In drei Installationen finden dort Klang und Visuelles zusammen: Es sind die „Drei Modellräume“ des Düsseldorfer Künstlers Ralf Brög und seiner musikalischen Mitstreiter. Der erste Raum, das „Theater“, führt den Reisenden auf der Rolltreppe an einem roten Theatervorhang vorbei, während geheimnisvolle Stimmen Auszüge eines Hörspiels rezitieren. Im „Labor“ mischen sich Klänge aus bunt verkleideten Lautsprechern in einem Gang. Dort sind Keramikplatten angebracht, deren Muster an Strukturen von Sol LeWitt erinnern und die Klangmischung visuell begleiten. Für die dritte Installation, das „Auditorium“, ist ein Treppenaufgang mit weißen, unterschiedlich geformten Emailfliesen ausgekleidet und bearbeiteter Vogelgesang ist zu hören. Diese Station verweist also explizit auf Musik und Theater, was unserem Passanten angesichts der Nähe der Station zur Düsseldorfer Oper als eine durchaus gelungene Wahl erscheint.

 

 

"Turnstile" von Ursula Damm. Foto: Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

Auch in der nächsten Station, der Schadow-Straße, wird er auf die Bezüge zwischen „oben“ und „unten“ hingewiesen. Auf dem Weg nach unten kommt er an abwechselnd satt dunkelblauen und weißen Glasplatten vorbei. Es scheint, als blicke er auf den Schreibtisch eines Stadtarchitekten: Stadtansichten, Koordinatensysteme, geometrische Formen. So wird an die stadtplanerische Dimension des Wehrhahn-Linien-Projekts erinnert. Unten findet er sich in einem Tageslichtkegel wieder, der durch ein breites Fenster aufs Gleis strahlt. Besonders nah an der Oberfläche wirken die Bahnsteige der Wehrhahn-Linie durch ihre weitläufige und großzügige Raumgestaltung, hier ist die Verbindung allerdings unmittelbar. Das Herzstück der von der Weimarer Medienkünstlerin Ursula Damm mit dem Titel „Turnstile“ gestalteten Station befindet sich unter dem Fenster: Auf einer Projektionsfläche sind verfremdete Filmaufnahmen von Fußgängern an der Oberfläche zu erkennen, und unserem Passanten drängen sich Fragen der Datensicherheit und der Überwachung auf.

 

 

"Surround" von Heike Klussmann. Foto: Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

An der letzten Station, der Pempelforter Straße, hat die in Berlin lebende Künstlerin Heike Klussmann unter dem Titel „Surround“ mithilfe von geometrischen Schwarz-Weiß-Formen die lichten Räume visuell aufgebrochen und erweitert. Auch hier geht die Linienführung von den Eingängen aus und läuft an Boden, Decken und Wänden bis zu den Gleisen entlang. Die strenge und kontrastreiche Gestaltung der Station wirkt stark und mutet ähnlich futuristisch und filmisch an wie Strickers Orbit-Visionen.

An dieser Stelle endet die Reise des Passanten und er kehrt mit vielen Eindrücken an die Oberfläche zurück: Bei der Fahrt durch den Düsseldorfer Untergrund hat die Kunst ihn eingeladen, den Schritt zu verlangsamen und seine Umgebung sensibel zu betrachten. Er wurde zum Flaneur, der einen Moment lang tatsächlich sein Ziel vergessen hat.

Bei all den Menschen jedoch, die unserem Passant auf seiner Reise begegnet sind – vorbeihastend und den Blick starr auf das mobile Endgerät gerichtet –  könnte man natürlich die Frage stellen, was die hier gezeigte Kunst tatsächlich bewirken kann. Man könnte aber auch nach #wehrhahnlinie auf Instagram suchen und feststellen, dass sie womöglich einfach nur ihre Momentaufnahmen von den Orten bearbeiten, die man sie seit Februar entdecken lässt.

 

 

Das "Labor" von Ralf Brög und Stefan Schneider. Foto: Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

 

Mehr Informationen

Katalog zum Projekt:
„Wehrhahn-Linie. Kontinuum und Schnitt.“, 240 Seiten, Kerber-Verlag, Preis 40€, erschienen im Mai 2016.

Führungen:
Kulturamt Düsseldorf, sonntags um 11 Uhr, Treffpunkt Oststraße/Ecke Am Wehrhahn, Kosten 5€, Dauer 1,5h, gültiges Fahrticket benötigt.

Internetseite: www.wehrhahnlinie-duesseldorf.de

Instagram: @wehrhahnlinie