Kunstsammlung NRW

STADT UNTER! Mapping Game im Selbstversuch

Wie war das nochmal mit Düssel und Rhein? Wenn Alt-, Neu- und Pendel-Düsseldorfer sich zu einer gemeinsamen Stadttour treffen, ist auf die metergenaue geografische Orientierung nicht zwangsläufig Verlass. Glücklicherweise hilft hier die digitale Technik mit GPS-Ortung: Ausgestattet mit Smartphone und Tablet machen wir bei strömendem Sommerregen den Selbstversuch und testen das mobile Mapping Spiels STADT UNTER! Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen hat es anlässlich der Ausstellung Unter der Erde. Von Kafka bis Kippenberger konzipiert und gemeinsam mit einem studentischen Team der Media Design Hochschule in Düsseldorf entwickelt. Positiver Nebeneffekt: ein Einblick in die Welt des Game Designs.

 

Ein Bericht für #32 von Alissa Krusch

Der Rundgang beginnt am K20. Unterirdische, verborgene Orte gibt es natürlich auch in einem Museum, im Spiel aber ist die Tiefgarage unter dem Grabbeplatz unsere erste Anlaufstelle. Die GPS-Ortungsfunktion ist aktiviert, auf der in dunklen Grautönen gehaltenen, mobilen Stadtkarte sind wir als grünlich pulsierender Kreis präsent. Nun gilt es, sich dem nächsten Gullideckel zu nähern, der im Spiel einen Ort symbolisiert, der gespielt werden kann. Ist der Gullideckel noch geschlossen und orangefarben umrandet, kann dieser Ort entdeckt werden. Wurde eine Aufgabe bereits gelöst, eine Frage richtig beantwortet, ändert der Deckel die Farbe und wird zur Seite geschoben –  es sieht so aus als öffne sich uns zur Belohnung das sinnbildliche Tor zur Unterwelt.

Der grüne Kreis zeigt den Standort, der noch geschlossene Gullideckel ist das nächste Ziel im Stadtraum Düsseldorfs, Foto: Kunstsammlung

Von Karten und Gullideckeln: Einstieg in das Mapping Game

Jeden der Orte – zu Beginn waren es rund dreißig, inzwischen ist die Zahl auf über fünfzig angewachsen – kann man nur anschauen, wenn man sich tatsächlich dort befindet. Ein Bild und ein kleiner Text liefern Informationen, gespielt werden kann ein Quiz mit vier vorgegebenen Antwortmöglichkeiten. Die Frage „Wann wurde Martin Kippenberger geboren?“ mag für Kunstbegeisterte, die zuvor die Ausstellung im K21 gesehen haben, noch lösbar sein. Aber, was war doch gleich „eine Düsseldorfer Brückenfamilie?“.

Durch die Gassen der Düsseldorfer Altstadt machen wir uns auf den Weg Richtung Rhein. Zwischenzeitlich finden wir beim immer stärker werdenden Regen Schutz unter dem Vordach des Kunstfilmkinos Cinema in der Schneider-Wibbel-Gasse. Beim Blick durch die Scheiben auf die Treppe, die vom Kinovorraum ins Untergeschoss führt, kommt  in der Runde eine Diskussion auf, die wir bereits zu Beginn des Projektes hatten: Es wäre schön, wenn die Spielenden nicht nur vorgegebene Orte aufsuchen, sondern bei ihren Exkursionen durch die Stadt auch eigene unterirdische Orte hinzufügen  könnten.

Von der Düssel in den Rhein: Der Nebenfluss mündet als nördliche und südliche Düssel im Innenstadtgebiet in den großen Strom, Foto: Kunstsammlung

Nächste Ausbaustufe: Eigene Orte einfügen

Es wäre neben dem Spielcharakter ein weiterer Aspekt, der das partizipative Game von der gedruckten Stadtkarte unterscheidet, die bei der Entwicklung der App Pate stand. Alle Besucher der Ausstellung im K21 erhalten einen kostenlosen Stadtplan in DIN A2. Kuratorin Kathrin Beßen und ihr Team dokumentieren hierauf erstmals 39 unterirdische Orte von der Tiefgarage bis zum Luftschutzraum und fügen Daten aus unterschiedlichen Quellen zusammen. Vielleicht kennt aber einer der STADT UNTER!-Spieler noch Orte unter unseren Füßen, von deren Existenz selbst Kathrin Beßen und die hilfsbereiten städtischen Behörden nach monatelanger Stadtplan-Recherche nichts ahnen.


Blick zurück: Ein Computerspiel entsteht

Während man bei der Gestaltung einer Publikation im klassischen Sinne „nur“ gestalten und irgendwann drucken lässt, ist die Entstehung eines Computerspiels oder einer App eben noch an ganz andere Prozesse gebunden: Der erste, noch statisch- konzeptionelle Entwurf des Ablaufs sah aus wie eine gezeichnete „mind map“. Was passiert, wenn man die App aufruft? Welcher Schritt kommt als nächstes nach der Registrierung? Häufig sind es wenn-dann-Entscheidungen, die die Abfolge des Spiels beschreiben. Beantworte ich eine Frage richtig, erhalte ich Punkte oder ein Abzeichen und die nächste Herausforderung. Antworte ich falsch, geht es nicht weiter. Eigentlich alles ganz logisch.

Man muss sich nicht einmal in die Feinheiten der Spieltheorie vertiefen, um zu beschreiben, weshalb mobile Spiele oder auch das beliebte GEO Caching so viele Menschen ansprechen. Wir stehen an der Ecke Ritterstraße/Ursulinengasse im Herzen der Altstadt, sind eigentlich auf dem Weg zur „verrohrten“, also unterirdisch laufenden Düssel, dem Nebenfluss des Rheins, der der Landeshauptstadt Nordrhein-Westfalens ihren Namen gibt. Auf dem Weg nehmen wir aber noch einige Orte mit. Wir wollen für unseren Account ja Punkte sammeln – und Auszeichnungen, damit wir möglichst weit oben im Ranking stehen. Die Suche nach dem richtigen GPS-Punkt für das nächste Quiz sensibilisiert uns aber auch, auf eigentlich Sichtbares im Stadtraum zu achten, woran wir im Alltag gern vorbeilaufen. So bleiben  wir hier vor dem Wandrelief zur mittelalterlichen Stadtmauer stehen oder diskutieren dort über die in den Boden eingelassene Platte, die den Verlauf der ehemaligen Mauer im Straßenpflaster nachzeichnet.

Verortung an der Hauswand: Den Verlauf der Stadtmauer aus dem 13. Jahrhundert entdecken wir während der Tour durch die Altstadt eher zufällig, Foto: Kunstsammlung

Was wir vor Ort erleben, beschreiben Game Designer in der Theorie mit dem Wort „Balancing“. Damit ein Spiel Spaß macht und gern gespielt wird, kommt es auf das richtige Verhältnis von Anreiz und Belohnung an. Wann suche ich zu lange? Ist eine Frage zu schwer? Wie viele Punkte muss ich erreichen, um mich über ein neues Abzeichen freuen zu können oder bin ich eher genervt, wenn ich schon wieder eine Bonusfrage lösen muss?

„Balancing“ ist nur einer der Begriffe, die die Game Designer bereits in der ersten Phase unseres gemeinsamen Projektes verwendet haben, und die nicht Eingeweihte verwirren: Wireframe, Mock up, Achivements…?  Hat sich doch in diesem vergleichsweise jungen Forschungs- und Ausbildungszweig inzwischen eine Professionalisierung und Spezialisierung herausgebildet, die selbst für gestandene Brettspieler fremd und faszinierend zugleich ist.

Gamedesign-Studium in Düsseldorf

Dass Game-Design gefragt ist, weiß Prof. Tim Bruysten seit Jahren. Der gebürtige Düsseldorfer lehrt seit 2008 an der privaten Mediadesign Hochschule, der ersten in Europa, die ein staatlich anerkanntes Gamedesign-Studium angeboten hat. Auf Initiative der Kunstsammlung brachte er das vierköpfige studentische Team und einen beratenden Programmierer mit dem Museum zusammen. Trotz der hohen Nachfrage werden die Kurse an der Hochschule klein gehalten: Es fangen maximal 27 Studenten gleichzeitig an, in diesem Jahr erstmals auch im Sommersemester. Die  Auswahlkriterien sind entsprechend hart. Eine Affinität zum Computerspiel ist selbstverständlich, je nach Spezialisierung sollten die Kandidaten aber auch Programmierkenntnisse mitbringen, zeichnerisches und gestalterisches Talent haben und qualitätsbewusst arbeiten können. Nach einem siebensemestrigen Bachelor-Studium, das nach weiteren vier Semestern auch als Master of Arts abgeschlossen werden kann, können die Absolventen aber fast sicher sein, einen schnellen Berufseinstieg zu schaffen.

Und so kommen wir irgendwo zwischen Düssel und Rhein mit Tim Bruysten auch auf die Spielewirtschaft zu sprechen. Diese hat die Filmindustrie, mit dem einstigen amerikanischen Aushängeschild Hollywood im Umsatz nämlich schon vor mehr als zehn Jahren hinter sich gelassen. Direkte Vergleiche sind schwer, Zahlen hat Tim Bruysten aber immer parat: Durch den Verkauf von Videospielen wurden in Deutschland 2013 rund 1,8 Milliarden Euro umgesetzt. 18 % der 20 bis 29-jährigen sind aktive Spieler, bei den 30 bis 39-jährigen sind es 16 %.

Und – erstaunlich: 40% der aktiven Computerspieler sind weiblich. Wir gehören nun definitiv dazu!

Studentinnen des Gamedesigns und Teil des Projektteams von STADT UNTER: (v.l.n.r.) Mareike Bohler, Sarah Anees, Dominica Wester von der Mediadesign Hochschule, Foto: Wilfried Meyer

Bonus-Level: fünf Fragen an das Team

Mareike Bohler, Sarah Anees und Dominica Wester studieren Gamedesign an der Mediadesign Hochschule in Düsseldorf. Für #32 geben sie einen Einblick in die Welt ihres Studienfachs:

Was lernt man als Gamedesigner gleich im 1. Semester?
Zu Beginn lernt man das Wichtigste: Wie funktioniert ein Spiel und wann macht es Spaß? Da das nicht nur für Computerspiele gilt, haben wir im ersten Semester ein Brettspiel entwickelt, mit eigenem Regelwerk, eigenem Spielbrett und Figuren. Außerdem haben wir gelernt, wie man Fantasiegestalten aus dem eigenen Kopf auf Papier bringt und schließlich als Skulptur aus Plastilin modelliert. Und natürlich haben wir schon ein erstes kleines Spiel programmiert.

Was war bei STADT UNTER! die größte Herausforderung?
Die größte Herausforderung war, die verschiedenen Vorstellungen aller Beteiligten zu verbinden und die technische Umsetzung.

Welche Erfahrung nehmt Ihr aus dem Museum mit?
Dass Kunst nicht nur Bilder an der Wand oder Skulpturen ist, sondern auch viel spannender und greifbarer sein kann, wie zum Beispiel eine Ameisenkolonie im Schaukasten oder begehbare Ausstellungsstücke.  Außerdem ist uns aufgefallen, dass Museen sich immer mehr öffnen und zeitgemäßer werden, was uns gut gefallen hat.

Was wäre Euer Traumjob?
Wir wollen alle drei in verschiedene Richtungen gehen: Mareike möchte weiterhin als Gamedesignerin tätig sein, Sarah möchte 2D-Artist werden und Dominica in den Bereich der 3D-Animation gehen.

Welches Spiel könnt ihr dieses Jahr empfehlen?
Sarah ist überzeugt, dass Dragon Age das beste Spiel des Jahres wird, welches im Oktober erscheint. Dominica gefiel bisher Infamous: Second Son am besten und Mareike empfiehlt Pokémon.

 

Autorin Alissa Krusch leitet den Bereich der digitalen Kommunikation der Kunstsammlung und stellte sich rund um Weihnachten die Frage, wie man ein Ausstellungsthema in ein Computerspiel übertragen kann. Kunstwerke abzubilden, zu verfremden und zum Spielinhalt zu machen, sollte nicht der Ansatz sein. So wurde der Stadtplan zur perfekten Vorlage für die virtuelle Welt. Sie freut sich darauf, in diesem Jahr gemeinsam mit dem Team und dem Spiel im Gepäck zur Gamescom, der größten Computerspielmesse der Welt, zu fahren und fragt sich, ob es nicht lohnenswert wäre, den Arbeitstitel Crazy Caves hierfür noch einmal aus der Schublade zu holen.

Das Mapping Game STADT UNTER! ist kostenlos im iTunes App Store und bei Google Play erhältlich.

http://www.stadt-unter.de/