Kunstsammlung NRW
Foto: www.mediaserver.hamburg.de/R.Hegeler

Making of: "Miró. Malerei als Poesie"

Ein Rückblick auf das gleichnamige Symposium in Hamburg

Die Fahrt in den Norden Deutschlands stand für Valerie Hortolani zunächst unter keinem guten Stern: Zwei Tage zuvor hatte Tief Ela über Düsseldorf gewütet und so musste die wissenschaftliche Volontärin der Kunstsammlung kurzfristig von der Bahn auf den Flieger umsteigen um überhaupt noch pünktlich nach Hamburg zu kommen. Anlass der Reise war das Symposium „Miró. Malerei als Poesie“ im Bucerius Kunst Forum, das derzeit gemeinsam mit der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen für das Jahr 2015 die gleichnamige Ausstellung zum Einfluss der Dichtung auf Joan Mirós Werk vorbereitet.

Für #32 blickt Valerie Hortolani auf das Symposium zurück und gibt einen Überblick über die vorgestellten Themen und aktuellen Forschungsaspekte.

 

Joan Miró – „A Painter Among Poets“

Den Anfang machte der englische Kurator Michael Peppiatt, der gemeinsam mit den Direktorinnen beider Häuser, Ortrud Westheider und Marion Ackermann, das kuratorische Dreiergespann der Ausstellung bildet. Er stellte Miró als „painter among poets“ vor, der im Paris der 1920er Jahre zahlreiche Dichter wie Paul Éluard, Henri Miller oder Tristan Tzara kennenlernte, die ihn nach eigener Aussage weitaus mehr inspirierten als die Maler, die er dort traf. Die Dichtung beeinflusste ihn dabei so maßgeblich, dass Miró seine Bilder gar nicht mehr schlicht als Malerei verstanden wissen wollte, sondern er sich als Malerdichter begriff, für den Malerei und Poesie auf der Leinwand miteinander verschmolzen. Peppiatt betonte, dass es kein Zufall sei, dass sich Mirós charakteristische Bildsprache aus Worten, Bildern und Symbolen, seine „malerische Poesie“, genau in dieser Zeit herausbildete, sondern sein gesamtes Werk im ständigen Austausch mit der Literatur und Dichtung zu lesen sei. 


Auf der Leseliste: „der ganze Freud“

Auch Joan Mirós Enkel, Joan Punyet Miró, der in Palma de Mallorca den Nachlass seines Großvaters verwaltet und eng mit der Ausstellungsplanung verbunden ist, war in Hamburg mit dabei. In seinem mitreißenden Vortrag gab Punyet Miró einen Einblick in die private Bibliothek seines Großvaters, die aus mehr als 1.700 Bänden von Klassikern der Weltliteratur bis zu subversiver, avantgardistischer Poesie bestand. Punyet Miró vermittelte dabei ein sehr lebhaftes Bild der Persönlichkeit seines Großvaters, die sich einem besonders durch dessen Büchersammlung erschließt. Der bibliophile Miró muss ständig gelesen haben, sogar in seinem Tagesablauf nahm das Studium der Literatur einen festen Platz neben der Arbeit im Studio ein. In handschriftlichen Leselisten sammelte er permanent weitere Titel und Autoren, so nahm er sich beispielsweise vor, „den ganzen Freud“ zu lesen (ob ihm das auch wirklich gelang ist jedoch nicht bekannt) und markierte ihm besonders wichtige Textstellen in seinen Büchern, die Rückschlüsse auf sein Denken zulassen.


Mirós poetische Sprachkunst

Die Literaturwissenschaftlerin Laetitia Rimpau von der Goethe-Universität Frankfurt zeigte anhand von detaillierten Analysen einiger Gemälde und Zeichnungen Mirós auf, wie die Dichtungen Arthur Rimbauds, Guillaume Apollinaires sowie die Sprachexperimente der Dadaisten Miró zur Etablierung einer eigenen, poetischen Sprachkunst verhalfen. So dienten ihm beispielsweise die Vokale a, e, i, o, u als bildhafte Zeichen, die er direkt in seine Bilder integrierte und die in unmittelbarer Verbindung zu Arthur Rimbauds Gedicht „Voyelles“ zu lesen sind, in dem die Vokale mit spezifischen Bedeutungen besetzt werden. Rimpau plädierte nachdrücklich dafür, Mirós Werk nicht wie bisher in der Tradition der Malerei des Surrealismus zu lesen, sondern vielmehr zurückgehend auf die Dichtung der frühen Moderne. Mirós Aussage, dass ihn die Dichter mehr inspirierten als die Maler, ist somit durchaus wörtlich zu verstehen, denn dieser Einfluss lässt sich unmittelbar in seinen Werken entschlüsseln.

 

 

Die Gruppe der Symposiumsreferenten in Hamburg mit Enkel Joan Punyet (3. Von rechts), Foto: Bucerius Kunst Forum

Miró vs. Magritte

Ortrud Westheider konnte in ihrem Beitrag zudem nachweisen, dass sich Miró weniger von den Surrealisten inspirieren ließ, sondern im Gegenteil vielmehr seine Werke einen Einfluss auf die Maler um André Breton ausübten. Besonders seine Serie der „Peinture-Poèmes“, in denen teilweise Mirós eigene, teilweise die Gedichtzeilen befreundeter Schriftsteller unmittelbar auf der Leinwand zu lesen sind, hatte nachweislich eine große Bedeutung für René Magritte. Mirós Gemälde mit so klangvollen Titeln wie „Étoiles en des sexes d’escargot“ (Sterne im Geschlecht von Schnecken, 1925) oder „Le signe de la mort“ (Das Zeichen des Todes, 1927) trieben auch Magrittes malerische Suche nach vieldeutigen Wort-Bild-Verbindungen voran. Als regelrechte „Autopiktologien“ reflektieren diese Bilder ihre eigene Verfasstheit, wie es dann mit Magrittes Gemälde „Ceci n’est pas une pipe“ (Dies ist keine Pfeife, 1929) bekanntermaßen auf die Spitze getrieben wurde.


Wenig bekannter Teil: Mirós Malerbücher

Im letzten Vortrag des Tages ging es Marion Ackermann um die von Miró gestalteten Bücher, die einen wichtigen, aber wenig bekannten Teil seines künstlerischen Schaffens ausmachen. Zusammen mit den bedeutendsten Autoren und Kunstbuchverlegern seiner Zeit hat Miró über 260 Bücher produziert, manche davon zählen zu den schönsten Malerbüchern des 20. Jahrhunderts. Technisch äußerst experimentell und innovativ, illustrierte Miró nicht nur die Werke der Dichter, sondern wurden seine künstlerischen Beiträge zu völlig freien Interpretationen auf Grundlage der Textlektüre. Typografie und Grafik beeinflussen sich auf den Buchseiten gegenseitig – mal gibt der Textverlauf den Bildern ihre Platzierung vor, mal dominieren aber auch Mirós astronomische und vegetabile Formen über den Text. So konnte gezeigt werden, wie Miró in seinen Büchern selbst zu einem bildlichen Autor wird und auch in den Büchern seine Forderung nach einer Verschmelzung von Bild und Poesie eine Umsetzung findet.

Mit einer Frage nach dem Ende der Epoche der großen Malerbücher schloss das Symposium zwar etwas  wehmütig, aber keinesfalls resigniert, stellen Mirós Bücher doch wunderbare Beispiele für die Blütezeit dieser Gattung dar. Im späten 20. Jahrhundert kommt es mit Anbruch der Postmoderne und den computertechnischen Neuerungen zu einer grundsätzlichen Infragestellung des Mediums des Buches und seiner Vermittlungswege. Neue, zunehmend skulpturale Buchobjekte werden geschaffen, in denen es weniger um die gemeinsame Herstellung aufwendiger Bucheditionen zwischen Autor, Künstler und Verleger geht, sondern um die vollständige Eigenproduktion aus Künstlerhand.

Dass das Buch aber trotz aller düsteren Prognosen dennoch überlebt hat, wird nicht zuletzt der Ausstellungskatalog bezeugen können, dessen Gestaltungsplanung ebenfalls auf der Agenda unseres Hamburg-Aufenthaltes stand.    

 

 

Gestaltungsentwürfe für den Ausstellungskatalog, Foto: Valerie Hortolani / Kunstsammlung


Das Symposium „Miró. Malerei als Poesie“ fand am 12. Juni 2014 in Hamburg statt.


Autorin Valerie Hortolani absolviert seit Mitte April ein wissenschaftliches Volontariat in der Kunstsammlung. Obwohl der Surrealismus schon lange ein großes Interesse der Kunsthistorikerin ist, widmet sie sich momentan erstmals so intensiv dem Werk von Joan Miró. Den Blick auf den vermeintlich altbekannten Miró empfindet sie dabei als besonders spannend. Für sie ebenso wie für alle beteiligten Wissenschaftler war das Symposium ein ideales Forum für den Austausch über die vielseitige Auseinandersetzung des Künstlers mit der Literatur.

Für die zahlreichen Besucher, die ebenfalls an der Veranstaltung teilnahmen, war es zudem bereits eine intensive Einstimmung auf die kommende Ausstellung. Sie wird vom 31. Januar bis 25. Mai 2015 in Hamburg und vom 13. Juni bis 27. September 2015 im K20 der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf zu sehen sein.

http://www.buceriuskunstforum.de/

 

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