Kunstsammlung NRW
Foto: Lebenshilfe Bochum

Leicht gemacht: Ein Audio-Guide in Leichter Sprache entsteht

Wer zum ersten Mal ein Faltblatt in Leichter Sprache in der Hand hat, ist kurz verwirrt. Dies ist nur ein flüchtiger Moment, denn bei näherem Hinschauen ist alles ganz logisch. Übersetzerin aus der üblichen „schwierigen“ in die Leichte Sprache ist Kirsten Czerner-Nicolas. Ihre freien Mitarbeiter heißen "Prüfer". Sie sind Menschen mit Lernschwierigkeiten und prüfen jeden übertragenen Text, jedes Bild und jede Website auf Herz und Nieren. Wenn beim Vorlesen eines Textes die Stimme eines Prüfers stolpert, ist dies ein sicheres Zeichen: Hier muss die Übersetzerin noch einmal ran. Am Ende sind Texte nicht nur kürzer geschrieben und größer gesetzt. Häufig werden sie auch von Illustrationen begleitet, Bildern, die niemand falsch verstehen soll. Bis zu 50 Menschen prüften beispielsweise die Piktogramme für Leichte Sprache und diskutierten Änderungen bis die Bildsymbole den hohen Qualitätsansprüchen der Experten gerecht wurden.

Zur Ausstellung THE PROBLEM OF GOD hat die Bildungsabteilung der Kunstsammlung in Zusammenarbeit mit dem Büro für Leichte Sprache der Lebenshilfe Bochum erstmals ein solch spezielles Angebot erarbeitet. Um mehr über die Arbeit der Übersetzer und der Prüfer am Audio-Guide in Leichter Sprache zu erfahren, trafen wir Kirsten Czerner-Nicolas zum Gespräch.



Ein Interview für #32 von Alissa Krusch

#32: Sie haben für die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen Übersetzungsarbeit geleistet. Waren Sie überrascht von der Kooperationsanfrage eines Museums?

Czerner-Nicolas: Ja! Aber ich fand es total toll und wusste von Anfang an: Das will ich unbedingt machen, da ich hier meine Leidenschaft mit dem Beruf verbinden kann. Wir arbeiten viel mit Institutionen zusammen, mit Behörden und natürlich auch mit den Menschen, die in unseren Einrichtungen leben und arbeiten. Momentan erleben wir eine große Nachfrage, da das Thema auch häufig in den Medien ist.


#32: Was ist aus Ihrer Sicht bei Texten über Kunst anders als z.B. bei einem Wohnvertrag oder einem Behördenformular? Welche Passagen sind eine ganz besondere Herausforderung?


Czerner-Nicolas: Ein Museumsbesuch ist für unsere Prüfer genauso wie für alle anderen. Manche finden Kunst gut, andere nicht. Auch unsere Prüfer haben ganz unterschiedliche Interessen. Mir ist wichtig, dass sie einen Zugang haben, das war in dieser Prüfgruppe bei allen der Fall. Alle waren vom ersten Besuch im K21 begeistert, für sie war es eine tolle Erfahrung, in einem Museum als Experten begrüßt zu werden. Die Frage ist immer: Wo setzen wir an zu erklären? Es gibt viele schwierige Themen innerhalb der Ausstellung, das Thema Unendlichkeit oder religiöse Kreuzzüge – was bedeutet das? Daher sind die Texte für unsere Hörführung auch mal etwas länger geworden. Ich bin aber aus meiner Erfahrung davon überzeugt, wenn Interesse beim Hörer oder Leser geweckt wird, bleibt man länger dabei.


#32: Wie können die Besucher des K21 von Ihrer Arbeit profitieren?


Czerner-Nicolas: Wenn ich selber weiß, es gibt eine Information in Leichter Sprache, dann nehme ich die. Auch Besucher ohne Lernschwierigkeiten, die den Audio-Guide in Leichter Sprache nutzen, werden die Erfahrung machen, dass sie alles verstanden haben. Senioren etwa, denn auch die Bedienung des Guides wird viel leichter sein als z.B. bei einem Smartphone. Der Guide ist wie ein erster Zugang und der große Vorteil ist, dass man nicht gleichzeitig Denken und Hören muss. Man kann auch nach dem Hören Denken.


#32: Bei allem Positiven: Mit welchen Vorurteilen sind Sie konfrontiert?

Czerner-Nicolas: Wir erleben eine große Akzeptanz. Dafür ist auch wichtig, dass wir die Leichte Sprache korrekt anwenden und Qualitätsstandards einhalten. Auch wenn wir zugunsten des besseren Verständnisses manchmal z.B. einen Bindestrich zur Trennung einfügen, muss die Grammatik korrekt sein. Vorurteile gibt es natürlich dennoch: "Das klingt wie die Kindernachrichten", sagen manche. Das stimmt aber nicht, denn unsere Themen sind für Erwachsene. Auch bei Behörden oder Juristen gibt es Vorurteile. "Das kann man so doch nicht rausschicken, dann denken die Leute doch, ich bin doof". Unser Ziel ist aber, Menschen mit Behinderungen ernst zu nehmen. Sie müssen die Chance bekommen, Wissen aufzubauen um sich in unserer Gesellschaft zurecht zu finden. Ich bin mir sicher, dass wir in einigen Jahren viel mehr voraussetzen können. Die Menschen mit denen ich arbeite, bauen sich einen Wissens- und Erfahrungsschatz über die Leichte Sprache erst auf und dadurch steigt nach und nach auch der Anspruch.

Das Prüf-Team in Bochum: u.a. Peter Brinke, Sonja Brinke, Annemarie Lippe, Monika Bieletzki, Bernhard Röthig, Foto: Lebenshilfe Bochum
 


Diplom-Heilpädagogin Kirsten Czerner-Nicolas, die als Beauftragte für Qualitätsmanagement und Datenschutz bei der Lebenshilfe angefangen hat, ist eine von mehr als 140 Personen die in Bochum für die Lebenshilfe tätig sind, viele im Bereich der Wohnungen. Das Büro für Leichte Sprache gibt es erst seit zwei Jahren. Aufgrund des großen Erfolgs steht bald der Schritt in die Selbständigkeit an: Aus der Abteilung innerhalb der Bochumer Lebenshilfe wird ein eigenes Unternehmen, eine Tochtergesellschaft. Und nicht nur das, im Aufbau ist damit das erste Integrationsbüro für Leichte Sprache in NRW. In Bochum wird künftig inklusiv gearbeitet, das Team besteht paritätisch aus vier Mitarbeitern ohne Lernschwierigkeiten und vier mit Beeinträchtigungen auf sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen.


Wer sich für speziell für Leichte Sprache interessiert, kann sich gern an Kirsten Czerner-Nicolas unter k.nicolas@lebenshilfe-bochum.de wenden.


Weitere Informationen zur Lebenshilfe Bochum

http://www.lebenshilfe-bochum.de


Link-Tipp: Netzwerk Leichte Sprache

http://leichtesprache.org/

 
Alissa Krusch leitet in der Kunstsammlung den Bereich Digitale Kommunikation. Die Leichte Sprache ist nicht nur aus Bildungs- sondern auch aus Kommunikationsperspektive eine spannende Entwicklung. Bei einem Relaunch der Homepage etwa könnten die Erfahrungen aus diesem Pilotprojekt zum Einsatz kommen. Wer sich mit dem Thema näher beschäftigen möchte, wird etwa im Netzwerk Leichte Sprache fündig. Hier finden sich auch Literaturempfehlungen, denn die Leichte Sprache bezieht sich längst nicht mehr nur auf Informationstexte, auch fiktionale oder dokumentarische Geschichten gibt es inzwischen.