Kunstsammlung NRW
Installationsansicht "Unter der Erde" / Installation view "Beneath the Ground", Foto: © Achim Kukulies, Düsseldorf
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Faszination "Unterwelten": Zwei Ausstellungen im Dialog

Ein Gespräch über die Ausstellungen „Unter der Erde“ und „Über Unterwelten“.

Als die beiden voneinander erfuhren, waren sie sofort neugierig auf die Projekte des jeweils anderen: Kathrin Beßen, Kuratorin der Ausstellung „Unter der Erde. Von Kafka bis Kippenberger“ im K21 und ihr Kollege  Dr. Eckhard Schinkel, verantwortlich für die Ausstellung „Über Unterwelten. Zeichen und Zauber des anderen Raums“ im LWL-Industriemuseum in der Dortmunder Zeche Zollern kennen sich seit Februar 2012.

Zunächst gab es einen losen Kontakt, dann Pläne für eine mögliche Kooperation. Entstanden ist ein sehr anregender Austausch darüber, wie man das „Unterirdische“ ausstellt.  Zum Abschluss der Ausstellung „Unter der Erde. Von Kafka bis Kippenberger“ im K21 haben sich die Düsseldorferin und ihr Dortmunder Kollege noch einmal getroffen und lassen Ihre Erfahrungen für #32 Revue passieren.

Kathrin Beßen:
Lassen Sie uns doch gleich konkret über unseren Austausch sprechen. Wie würden Sie beschreiben hat sich Ihr Projekt seit unserem ersten Treffen verändert?

Dr. Eckhard Schinkel:
Unserer Konzepte waren ja schon weitgehend abgeschlossen, als wir voneinander erfuhren. Hätten wir sie von Beginn an gemeinsam entwickeln können, wären die Ausstellungen sicher noch weitergehender miteinander verflochten worden. Wie eine historische Anregung dafür lässt sich ein Exponat in unserer Ausstellung begreifen: das Projekt für eine „Rheinisch-Westfälische Schnellbahn“ (1924) zwischen Köln, Düsseldorf und Dortmund mit unterirdischen Bahnhöfen. Vielleicht gibt es ja eines Tages diesen Metrorapid, der es den Besucherinnen und Besuchern auch leichter macht, entfernt voneinander liegende Schauplätze aufzusuchen.

Beßen:
Gab es für Sie als LWL-Industriemuseum einen konkreten realgeschichtlichen Hintergrund, diesem Thema eine Ausstellung zu widmen? Und können Sie über die Ziele der Ausstellung berichten?

Schinkel:
Ja, denn im Jahr 2018 endet der Kohlebergbau in Deutschland. Wir müssen darauf genauso reagieren wie auf die grundsätzlichen Herausforderungen für die Museumsarbeit heute: Generationen-Wechsel, Partizipation, Globalisierung, um nur einige Stichworte zu nennen, gar nicht zu sprechen von den zahlreichen institutionellen Faktoren. Museumsarbeit heute vollzieht sich in einem komplexen Framing, in dem übrigens die persönlichen vertrauensvollen Kontakte wichtiger denn je sind. Im Rahmen des Projekts 'Über Unterwelten' wollten wir mit den Möglichkeiten und Grenzen des Museums experimentieren.
Der herkömmliche Ausstellungsraum, aber auch Grenzen zwischen akademischen Disziplinen und Museums-Typen sollten ein Stück weit durchlässig werden. Was passiert, so eine Überlegung, wenn Kulturgeschichte und zeitgenössische Kunst aufeinander treffen? In unserer Ausstellung leisten das die künstlerischen Interventionen. Mitten in die Sachinformationen zum Thema „städtische Kanalisation“ bricht Hans Schabus‘ Video „Western“ (Video 2002), seine Bootsfahrt über die unterirdischen Abwasserkanäle Wiens. Der These von der Entzauberung der Tiefe durch Wissenschaft seit der frühen Neuzeit setzt Pipilotti Rist ihre Bodeninstallation „Selbstlos im Lavabad“ (Audio-Video-Installation 1994) entgegen. Faszinierend fand ich nun, wie solche Plötzlichkeit mit Ihrer Ausstellung „Unter der Erde“ aufgegriffen, radikalisiert und raumgreifend erweitert wurde.

Beßen:
Während des Suchens der unterirdischen Orte für neue künstlerische Arbeiten ist uns zum Beispiel Ende 2012 die Idee gekommen, den Stadtplan des unterirdischen Düsseldorf als Printprodukt anzugehen. Daraus ist dann auch das Computerspiel „Stadt unter! Ein Mapping Game der Kunstsammlung“ entstanden. Auch die Entscheidung, wie wir mit der Literatur im Ausstellungsraum umgehen – nämlich sie in den Audioguide aufzunehmen –, hat sich erst später geklärt. Zum Glück haben wir die Zusagen für die beiden Max Ernst-Werke im Sommer 2013 erhalten, danach waren wir sehr erleichtert. Der letzte wichtige Schritt bezüglich der Leihgaben war der „Circle“ von Bruce Nauman.

Porträtserie von Cornelia Suhan und Karin Hessmann „Was würden Sie mitnehmen?“ (2011/2012) in der Ausstellung „Über Unterwelten“ im LWL-Industriemuseum, Foto: LWL-Industriemuseum / M. Holtappels

Schinkel:
Hat man sich einmal auf diesen neuen Blick von unten, auf die Bild- und Zeichenhaftigkeit von „Unterwelt“ eingelassen, öffnet sich ein weites, ein sehr weites, eigentlich unabsehbares Feld. Die Unterwelt ist eine der grundlegenden Metaphern unseres Daseins. Sie lässt niemanden unberührt. Darin lag ein wesentliches Motiv, über partizipative Strukturen in unserem Projekt nicht nur nachzudenken, sondern auch einiges davon für die Ausstellung fruchtbar zu machen. Das kollektive Gedächtnis, oder besser: das kulturelle Archiv bewahrt die vielfältigsten Symbole und Assoziationen, Denkbilder und Metaphern. Das kann man dokumentieren und sammeln, man muss auswählen und ein Ausstellungsdesign entwickeln. Im besten Sinn spannend werden solche Unterwelten-Bilder in der Ausstellung dann, wenn sie auf die Beispiele aus dem Gegenwarts-Gedächtnis treffen oder wenn sich die Blicke der Betrachter, wie in Ihrem Computerspiel „Stadt unter!“, nach dem Verlassen des Museums auf die Umgebung, auf den lebenweltlichen Alltag hin öffnen.

Im Rahmen einer „historischen Tiefenbohrung“ haben wir die Themen „Bunker“ und „Schutz“ aufgegriffen. Lebensnah und anrührend wurden die Informationen, als sie in den Erinnerungen der Zeitzeugen wieder auftauchten. Vorausgegangen war das Interviewprojekt meines Kollegen Andreas Immenkamp. Auszüge daraus haben wir in die Ausstellung einbezogen. Die Begleitveranstaltung, ein offenes Gespräch mit diesen Zeitzeugen, stieß auf großes Interesse. Auch hierzu gibt es eine künstlerische Intervention. Die Fotografin Cornelia Suhan hatte junge Leute gefragt: „Was würdest Du mitnehmen, wenn Du jetzt so einen Schutzraum aufsuchen müsstest?“ Wir zeigen ihre Porträtfotografien und die Gegenstände und konfrontieren sie mit den Inhalten eines Notkoffers, wie er im zweiten Weltkrieg gepackt wurde.

Beßen:
Der Untergrund ist in meiner Erfahrung ein Thema, was als besonders spannend von den Besuchern reflektiert wird. Führungen und Begegnungen rund um die Ausstellung machen großen Spaß und sind fruchtbar. In Vorbereitung Ihrer Ausstellung haben Sie einen Fotowettbewerb initiiert, der eine unglaubliche Resonanz erhalten hat. 16.000 Klicks haben Sie im Prozess der Kür der 50 besten Einsendungen gezählt. Einerseits spricht das für die Begeisterung für das Thema, andererseits auch für eine besondere Aktivierung des Publikums auf die Ausstellung hin. Haben Sie für sich eine Erklärung gefunden, warum das Unterirdische ein so spannendes Thema für die Menschen ist? 

Schinkel:
Ja, das ist wahr. Selten bin ich während meiner Führungen auf so viel Erzählbereitschaft gestoßen. Eigenartige Geschichten erzählen auch die Fotos unseres Fotowettbewerbs „Meine Unterwelten“. Wir hatten ihn im Frühjahr 2013 ausgelobt und mit einem user-voting ausgewertet. Die 50 meist gevoteten Arbeiten bilden heute den Eingang zu unserer Ausstellung, übrigens noch vor der Kasse. Diese public gallery ist mehr als nur eine Marketing-Veranstaltung. Sie ist eine ganz wichtige Säule für die Ausstellung, in der immer wieder Vergangenheit und Gegenwart miteinander konfrontiert werden. Wir haben uns hier von Aleida Assmann inspirieren lassen. Diese Wettbewerbs-Beiträge repräsentieren das kommunikative im Unterschied zum kulturellen Gedächtnis. Der Wettbewerb dokumentiert beispielhaft, aus welchen Quellen sich die Unterwelten-Bilder heute speisen und wie sehr – das sei nur kurz erwähnt – die Rolle die Religion dabei in den Hintergrund getreten ist. Hier muss ich unbedingt noch das ebenso umfangreiche wie vielgestaltige Unterwelten-Archiv erwähnen. In Zusammenarbeit mit meiner Kollegin Anja Hoffmann hat es das Hittorf-Gymnasium in Recklinghausen fächerübergreifend im Rahmen einer Bildungspartnerschaft mit dem Museum angelegt. Diese Beispiele überbordender Fantasie, Kreativität und Nachdenklichkeit wären noch über die Ausstellung hinaus eine weitergehende Beschäftigung wert.

Installationsansicht "Unter der Erde" mit einem Werk von Christoph Büchel, © Achim Kukulies, Düsseldorf

Beßen:
In der Kommunikation über die Ausstellungen arbeiten wir mit ganz ähnlichen Vokabeln, um die mitschwingende Ambivalenz des  unterirdischen Raumes zu verbalisieren. Sie sprechen von „Schauder und Begierde“, wir von „Rückzug und Gefahrenzone“. Nicht nur die Sprache zeigt, dass sich unsere Projekte in der Stimmung sehr schön ergänzen. Für das, was die Künstler bei uns ästhetisiert zeigen, erhält man bei Ihnen die Grundlage in Bild und Objekt. Ihren kultur- und religionsgeschichtlichen Einstieg fand ich wirklich sehr beeindruckend.

Schinkel:
Diese Ambivalenz ist in der Tat unhintergehbar. Man kommt nicht daran vorbei, oder wie Manfred Sack fragte: „Wo sonst fände man Wirklichkeit und Mythos, Banalität und Geheimnis, Schutz und Drohung so dicht beieinander wie unter der Erde?“ Nehmen wir das Thema Religion. Wir leben in einer Migrations-Gesellschaft und dazu gehören auch die verschiedenen Religionen, die die Menschen mitgebracht haben. Aber was wissen wir über sie? Wir zeigen Unterwelts-Bilder aus Christentum, Islam, Judentum, Buddhismus und Hinduismus und erläutern sie. Außerdem haben wir Vertreter der verschiedenen Religionen gewinnen können, aus ihrer Sicht über Unterwelten zu unseren Besucherinnen und Besuchern zu sprechen. In ihrem Bemühen, etwas sehr Persönliches zu erklären, in ihrer Ernsthaftigkeit und Intensität sind das ganz wunderbare Beiträge, denen man sich nicht entziehen kann. Zudem zeigen uns die Eintragungen im Besucherbuch, dass diese Beiträge über Unterwelten eine Brücke zu Menschen aus verschiedenen Glaubensgemeinschaften gebaut haben, die unser Haus bisher noch nicht wahrgenommen hatten.

Beßen:
Die Objekte, die Sie für die diesen Themenblock Religion oder für die Darstellung der unterirdischen Infrastruktur oder ganz konkret wie die Rettungskapsel vom Grubenunglück in Lengede in der Abteilung Bergbau zusammengetragen haben, haben eine starke Unmittelbarkeit.

Schinkel:
In der Tat. Die ausgestellten Gegenstände spielen eine kaum zu überschätzende Rolle. Mir scheint, als würden sie in vielen Diskussionen über die Zukunft des Museums, die notwendig sind und die geführt werden müssen, zu sehr an den Rand gedrückt. Sie sind beides: sowohl Quelle als auch Objekte für beispielgebende Präsentationen. Die Sammlungen sind und bleiben das Rückgrat des Museums. Eins der Lieblingsobjekte junger Menschen in unserer Ausstellung ist die Mumie. Die Nachfrage „Ist die echt?“ zeigt, dass das Objekt eine tiefere Schicht des Bewusstseins erreicht als das Bild von einer Mumie. Und etwas Ähnliches passiert mit dem Nachbau der Rettungskapsel von Lengede, die man anfassen, in die man seinen Kopf stecken kann. Das Original, eine Leihgabe aus dem Deutschen Bergbaumuseum in Bochum, hängt darüber. Indem sie an Bekanntes anknüpft, nutzt meine Kollegin Dagmar Kift hier die Möglichkeit, Bergbau und  Bergbaukultur, die so prägend für das Ruhrgebiet waren und sind, aus neuer Perspektive zu sehen. Und wenn in der Ausstellungsabteilung der Kollegin Maja Lange über die „Zukunft der Energie“ mehrere hundert Handys zu der Vitrine mit den Seltenen Erden führen, funktioniert auch dieser Brückenschlag in die Unterwelt des Bergbaus auf anderen Kontinenten und auf unsere Abhängigkeit davon.

Beßen:
Ich persönlich leide darunter, dass unsere Ausstellung viel zu wenig von Ingenieuren, Architekten oder Städtebauplanern wahrgenommen wird, da wir doch den konkreten Ort, die Topographie des Unterirdischen – wenn auch im übertragenen Sinn – vorstellen. Wir müssen wohl im Moment akzeptieren, dass wir vor allem eben als Institut für Bildende Kunst wahrgenommen werden und unser Publikum ein entsprechendes ist. Sie haben berichtet, dass bspw. Ingenieure wegen bestimmter Ausstellungskapitel kommen und Sie dann voller Hoffnung sind, dass sie sich auch noch weiteres ansehen. Wie gehen Sie mit dieser Situation um?

Die Mumie eines Mannes stammt aus der Ptolemäische Periode (332-31 vor Christus). Leihgabe: Fliedner-Kulturstiftung Kaiserswerth, Foto: LWL-Industriemuseum / M. Holtappels

Schinkel:
Zielgruppen-Diskussionen stehen am Anfang einer Projektentwicklung und sie begleiten ein Projekt bis zum Schluss. Strategien des Marketing und der Öffentlichkeitsarbeit, von Bildung und Vermittlung knüpfen daran an. In diesen Kontexten sind der Besucher und die Besucherin, aber auch diese oder jene Gruppe Idealtypen. In der Ausstellungspraxis kann eine solche Konzentration auf einzelne Gruppen-Interessen und Bedürfnisse klärend wirken, aber auch zu Konflikten führen. Mit unserer kulturgeschichtlichen Ausstellung bewegen wir uns zwar bereits in sehr unterschiedlichen Interessens-Horizonten, doch scheint es kaum möglich zu sein, allen Ansprüchen gleichermaßen zu entsprechen. Die Bereitschaft zu Pluralität und Kompromiss-Bildung im konkreten Projekt ist in meinen Augen eine der größeren Herausforderungen für künftige Ausstellungen.

Beßen:
Gibt es denn ein Ausstellungsstück, welches Sie als alle Besucher vereinendes Lieblingsobjekt ausgemacht haben? Für „Unter der Erde“ müsste man Roni Horns „Ant Farm“ oder die „Grotte“ von Thomas Demand nennen.

Schinkel:
Unbedingt. Einem Beitrag in unserer Ausstellung „Über Unterwelten“ kann sich niemand entziehen. Nach einem Muster vom Ende des 18. Jahrhundert haben der englische Künstler Robert Poulter und unserer Werkstätten ein „Eidophusikon“ gebaut, ein kleines Lichtspieltheater aus der Zeit, bevor die Bilder laufen lernten. Gezeigt wird ein Stück ohne Worte, aber mit dramatischer Musik „Als die Hölle auf die Erde kam“. Für den Betrieb der Kulissen haben wir zwei Freiwilligen-Teams gewinnen können, die zu festen Zeiten Vorführungen geben. Nur wenige Momente, nachdem sich der Vorhang gehoben hat, schauen alle Zuschauer und Zuschauerinnen, klein und groß, jung und alt, medienaffin oder –fern, wie gebannt auf das Bühnengeschehen. Für einige Momente vergessen ist das Rundherum. Damit haben wir sie alle.

 

Begleitausstellungen zum Thema „Unterwelten“ zeigen die sieben Standorte des LWL-Industriemuseums. www.lwl-industriemuseum.de

Unterwelten-Interessierte haben noch ein wenig Zeit die umfangreiche Ausstellung in Dortmund zu entdecken. Sie läuft noch bis zum 2. November 2014. Ein umfangreiches Rahmenprogramm wird angeboten:

„Über Unterwelten. Zeichen und Zauber des anderen Raums“ http://www.unterwelten.lwl.org

Ausstellungsort: LWL-Industriemuseum Zeche Zollern, Grubenweg 5, 44388 Dortmund

Das Ausstellungsbüro können Sie täglich (auch samstags und sonntags) von 10 bis 16 Uhr per Telefon: 0231 6961-176 oder E-Mail: unterwelten-projekt@lwl.org erreichen.