Kunstsammlung NRW
Werkstatt auf Murano: Entstehen der Glas-Marionetten, Foto: Kunstsammlung
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Behind the looking glass. Zu Besuch bei Wael Shawky auf Murano

Ab September 2014 widmet die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen dem ägyptischen Künstler Wael Shawky (geb. 1971) eine Ausstellung, in deren Mittelpunkt die „Cabaret Crusades“-Filme stehen. Derzeit arbeitet Shawky auf Murano inmitten der Lagune von Venedig am dritten Teil seines Marionetten-Epos, das die Geschichte der mittelalterlichen Kreuzzüge aus arabischer Sicht erzählt.

Was den Künstler in das geschichtsträchtige Zentrum europäischer Glasproduktion zog, erfuhren Doris Krystof und Ansgar Lorenz bei einem Besuch vor Ort.


Auf dem Weg in die Lagune

Eine erste Ahnung, warum sich ausgerechnet in und um Venedig über Jahrhunderte hinweg ein einzigartiges Verständnis für das fragile Material Glas entwickeln konnte, bekommt man bereits auf dem Weg nach Murano. Ein gewissermaßen hephaistischer Charme der Glasöfen und das blasse Licht der Lagune finden hier zu einer einzigartigen Synthese.

Es ist jedoch nicht die eindrucksvolle Atmosphäre, die uns zu Wael Shawky auf die Inselgruppe führt. Vielmehr geht es um eine Vorbesichtigung der 'Darsteller' des dritten und letzten Teils der "Cabaret Crusades". Denn während in den beiden ersten Teilen historische Holzpuppen aus der Turiner Sammlung Lupi ("The Horror Show File", Teil I, 2010) und kunstvoll gearbeitete Keramik-Marionetten aus dem südfranzösischen Aubagne ("The Path to Cairo", Teil II, 2012) zum Einsatz kommen, werden in "The Secrets of Karbala" Marionetten aus geblasenem Glas auftreten. Die Suche nach geeigneten Produzenten solcher bisher unvorstellbaren, fragilen, transparenten Figuren brachte Shawky in die Glasmanufaktur von Adriano Berengo auf Murano.

Ankunft auf Murano nahe Venedig, Foto: Kunstsammlung


Weit über einhundert Darsteller aus Glas

Weit über einhundert bewegliche und eine Vielzahl statischer Marionetten und Darsteller benötigt Wael Shawky für sein neues Werk. Die Vorlagen für die Entwürfe der Glasmarionetten fand er in historischen afrikanischen Skulpturen im Metropolitan Museum of Art in New York. Seit mehr als drei Monaten hält sich der Künstler auf Murano auf, um mit Hilfe der dort in Vielzahl ansässigen Glasspezialisten seine Vorstellungen zu realisieren. Der außergewöhnliche Auftrag, der zwei Maestri plus Assistenten seit Monaten beschäftigt, stellt selbst für die erfahrenen Handwerker eine vollkommen neue Herausforderung dar. Sie benötigen für die in Glas zu fertigenden Elemente der Figuren nicht bloß Skizzen des Künstlers, sondern auch zusätzliche Maquetten aus Ton.

Danach entstehen die verschiedenen Körperteile der Puppen in Glas. Vorsichtig werden diese erst in einem nächsten Schritt zu vollständigen Marionetten montiert: Torso, Arme, Beine, Köpfe, Mund, Augen und Augenlider können später einzeln bewegt werden. Das Ergebnis sind phantastisch anmutende, transluzente Kreaturen, surreale Wesen zwischen Mensch und Tier. Gleichzeitig sind auf Murano kostbare Kostüme im Puppenformat entstanden, Gewänder, Pelze, Umhänge mit dem Kreuzfahrerzeichen, die eine italienische Schneiderin mit hingebungsvoller Liebe zum Detail angefertigt hat. 

 

 

Foto: Kunstsammlung


Wer zieht die Fäden der Geschichte?

Die Marionetten verkörpern in Shawkys "Cabaret Crusades" Figuren aus den historischen Kreuzzügen. Ein Thema, das durch die andauernden Konflikte im Nahen Osten auch nach beinahe 1000 Jahren höchst aktuell ist. Eingeschoben in den dritten Teil ist ein Rückblick auf die Schlacht von Karbala im 7. Jahrhundert, die zur Trennung der Moslems in Schiiten und Sunniten führte. Der Film selbst spielt hauptsächlich in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts und endet mit dem Angriff der Venezianer auf Konstantinopel im Jahr 1204. Legendäre Figuren wie Saladin, Richard Löwenherz und Friedrich Barbarossa kämpfen um die Vormacht im Mittelmeerraum. Bis heute gültige historische Weichen werden gestellt, eine enorme Verschiebung der Mächte findet statt. Doch wer zieht die Fäden der Geschichte? Shawkys an Schnüren geführte, wie ferngesteuert wirkende Marionetten verkörpern akute Fragen nach Herrschaft, Manipulation und den Möglichkeiten politischer Handlung.

In der Summe beruhen Shawkys "Cabaret Crusades" auf hochkomplexen Arbeitsschritten, die im Dialog von einem internationalen Team aus erfahrenen Spezialisten und leidenschaftlichen Amateuren bewerkstelligt werden. Wobei Zusammenarbeit und Austausch für Shawky den Kern seiner Arbeit bilden; sowie der jeweilige genius loci der verschiedenen Orte, an die ihn seine  Produktionen führen.

Bei den "Cabaret Crusades" gehört dazu nicht nur, dass Frankreich, Italien und Deutschland, von wo aus die Kreuzzüge einst starteten, als Produktionsorte Eingang in die Trilogie gefunden haben. Hinzu kommen vielfältige, für den westlichen Blick nicht immer leicht zu entschlüsselnde Referenzen zu den bewegenden tagesaktuellen politischen Ereignissen im Mittleren Osten während der letzten fünf Jahre, in denen die Trilogie entstanden ist.


Im Zuge der Vorbereitungen der Ausstellung "Wael Shawky", die vom 6. September 2014 bis 4. Januar 2015 in der Grabbe Halle von K20 präsentiert wird, reisten die Kuratorin Doris Krystof und Ausstellungsassistent Ansgar Lorenz im Mai nach Murano, dessen einzigartige Stimmung in der Lagune sie an Hephaistos, den Gott des Feuers und der Schmiede denken lies. Beeindruckt vom künstlerischen Handwerk in den Glaswerkstätten brachten sie diesen Beitrag für #32 mit. Weiter geht es mit Wael Shawky in Düsseldorf ab dem Sommer: Die Dreharbeiten zu "The Secrets of Karbala" werden im Oktober stattfinden, die Filmpremiere des 3. Teils voraussichtlich Anfang Dezember in der Ausstellung. In der Zwischenzeit widmen sich mehrere Veranstaltungen der Reihe "Futur 3" Themen der ägyptischen Kunst und Gesellschaft.