Kunstsammlung NRW

Feldforschung einer Restauratorin: Hinter den Kulissen der Contemporary Conservation Ltd.

Vier Wochen Feldforschung in New York: Kunstsammlungsrestauratorin Nina Quabeck blickte für ihre Doktorarbeit hinter die Kulissen des berühmten Ateliers für Kunstrestaurierung von Christian Scheidemann.

Ein Bericht für #32.

 

"Deep Hanging Out" im New Yorker Restaurierungsatelier

Die großzügigen Atelierräume von Contemporary Conservation Ltd. befinden sich in einem mehrstöckigen Gebäude in Midtown, ganz in der Nähe des Hudson River. Der erste Eindruck: Kunstwerke überall! Auf allen Tischen und an den Wänden lehnend entdecke ich bei meinem ersten Rundgang durchs Atelier Arbeiten von Philip Guston, Yayoi Kusama, Marcel Broodthaers, Seth Price, Rudolf Stingel, Peter Fischli und David Weiss. Dann beginnt auch schon die wöchentliche Teambesprechung: Das internationale Team von Contemporary Conservation kommt jeden Montagvormittag zusammen, um laufende Projekte zu besprechen und um über zukünftige Aufträge zu beraten.

 

 

Das Team von Contemporary Conservation (v.l.n.r.): Christine Fröhner, Illana Hester, Delia Müller-Wüsten, Sara Cardiñanos, Mareike Opeña, Christian Scheidemann, Yuhi Hasegawa und Giuliana Moretto. Nicht auf dem Bild sind Natalie Zayne und Sarah Heslip, Foto: Nina Quabeck


Seit anderthalb Jahren erprobe ich an der University of Glasgow für die Restaurierung ungewohnte Methoden um neue Erkenntnisse für die Erhaltung zeitgenössischer Kunst zu gewinnen. Ein Aspekt hierbei ist die "ethnografische Feldforschung". In dieser Mission reiste ich im Frühjahr 2017 in die USA. Ich wollte herausfinden, wie sich die Praxis einer freien Restauratorin in New York von der der Museumsrestauratorin in Düsseldorf unterscheidet.

Feldforschung als Methode der Restaurierung

Ethnografische Feldforschung ist in der Kulturwissenschaft längst gang und gäbe, in der Restaurierung jedoch werden ethnografische Forschungsmethoden erst seit kurzem angewandt, sie basieren dabei auf denselben grundlegenden Prinzipien wie etwa in der Anthropologie.

Unter Anthropologen wird die Tätigkeit der teilnehmenden Beobachtung augenzwinkernd gern auch als Deep Hanging Out bezeichnet. Ein Euphemismus, denn in der Praxis bedeutet es, das Geschehen wie ein Schießhund zu verfolgen, selbst adäquate Reaktionen an den Tag zu legen, gleichzeitig aber auch zu reflektieren. Als Forscherin laviert man somit zwischen Nähe (Teilnahme) und Distanz (Beobachtung).

Wie sieht das nun in der Praxis aus? In New York habe ich mich als Gast des Ateliers in den Fluss des Arbeitsalltags eingegliedert. Ich habe zugeschaut, zugehört und Gespräche geführt, wann immer jemand Zeit und Lust hatte mit mir zu reden. Ich schrieb nachträglich anhand von Notizen und aus dem Gedächtnis auf, was täglich passierte, und bemerkte mit der Zeit, dass sich aus den Beobachtungen kleine Geschichten entfalteten. Die nachfolgende Zusammenfassung basiert auf meinen Eindrücken.

Im Auge des Sturms: Restaurierungsarbeit für den freien Markt

Eine lange Liste liegt vor Studiomanagerin Illana Hester auf dem Tisch. Während sie abfragt, wie der Stand der Dinge bei jedem einzelnen Projekt ist, wird mir klar, dass wir uns im Auge des Sturms befinden: Kunstwerke von hochgehandelten Künstlern werden in einer Schlagzahl ins Atelier geliefert und bearbeitet, dass es einem schwindelig werden kann.

 

 

Janine Antonis Seifenbüsten bewachen den regen Betrieb im Gemeinschaftsbüro, Foto: Nina Quabeck


Viele Werke werden kurz vor der Versteigerung stehend eingeliefert, so dass das Zeitfenster, in dem sie zu behandeln sind, sehr knapp ausfällt. Gleichzeitig Schaltzentrale der globalen Finanzwelt und Zentrum der internationalen Kunstszene – in New York sind die Strukturen der Kunstwelt eng verflochten mit den Strömen des Kapitals  und so sind in der Stadt mittlerweile vielleicht mehr Sammler und Händler als Künstler anzutreffen. Dass diese Umstände das Arbeitsleben eines Restaurierungsateliers derart prägen, ist für mich allerdings eine neue Erfahrung und so drehen sich viele der Gespräche, die ich in den kommenden Wochen mit dem Team führe, um die besonderen Anforderungen an die Restaurierungsarbeit für den freien Markt.

Zu treuen Händen überlassen: enge Zusammenarbeit mit Kunstschaffenden

Zwischen den Kunstwerken, die nur kurzzeitig als "Patienten" gastieren, entdecke ich mit der Zeit einige Werke, die die Kunstschaffenden dem Atelier überlassen haben. Unter anderem drei Seifenbüsten von Janine Antoni, die die Künstlerin nach Rezepturen ihrer Großmutter, ihres Kindermädchens und aus dem Internet schuf. Weil sie aber mit ihren eigenen Resultaten nicht zufrieden war, erarbeitete der Restaurator gemeinsam mit einer Seifensiederei ein passendes Rezept.

Die Seifenbüsten zeugen von der besonderen Beziehung zwischen den Kunstschaffenden und Christian Scheidemann, der 1983 in Hamburg sein Restaurierungsatelier eröffnete und 2002 nach New York übersiedelte um dort Contemporary Conservation zu gründen. Der Restaurator, der von der FAZ als "Kunstflüsterer" (16.04.2007) und vom New Yorker als "Art Doctor" (11.05.2009) bezeichnet wurde, ist Spezialist für Materialforschung. Dass die Arbeit im Restaurierungsatelier der in einem Labor gleicht, ist mir nach meinen vielen Jahren an der Kunstsammlung natürlich bewusst. Dass die Materialforschung aber bereits während des Schaffensprozesses einsetzt und der Restaurator quasi als dritter Arm des Künstlers fungiert, ist ungewöhnlich. Im Museum ist die Expertise meist erst dann gefragt, wenn die Arbeit am Kunstwerk abgeschlossen ist. Daher war ich besonders gespannt darauf, mehr über die Hintergründe dieses Arbeitsansatzes zu erfahren.

Art-Labor: Die Testkonservierung von Robert Gobers Donuts, 1989, Foto: Christian Scheidemann

Im gemeinsamen Gespräch erinnerte sich Christian Scheidemann an ein ganz besonderes Kunstwerk, eine Tüte voller Donuts von Robert Gober, mit dem seine enge Zusammenarbeit mit ratsuchenden Kunstschaffenden begann. Der Künstler wollte echtes Gebäck, aber keine Fettränder an der Papiertüte! Nach zahlreichen Experimenten gelang das Unterfangen: das Fett aus den Donuts wurde im Vakuum extrahiert und durch Kunststoff ersetzt. 

Nach der erfolgreichen Behandlung von Robert Gobers Donuts sprach sich Scheidemanns Einsatz schnell herum und bald kamen auch Zoe Leonard, Matthew Barney, Paul McCarthy und Chris Ofili mit Fragen auf den experimentierfreudigen Restaurator zu.

Der Arbeitsansatz hat sich bewährt – heute gehen zahlreiche in New York ansässige Kunstschaffende im Atelier ein und aus und verweisen im Schadensfall auch ihre Sammler an das Restaurierungsatelier, das mit dem Werk der Künstler bereits bestens vertraut ist. Über den Zeitraum meines Aufenthaltes bei Contemporary Conservation bearbeitete zum Beispiel Giuliana Moretto mehrere Reliefs des New Yorker Künstlers Seth Price, der gerade seine Retrospektive im Amsterdamer Stedelijk Museum vorbereitete. Für seine Reliefs verwendet er tiefgezogene Polystyrol-Platten. Das Material sowie das Verfahren stammen aus der Verpackungsindustrie. Der Künstler lässt die Platte von Fachleuten im Niederdruckverfahren formen, mit Autolack überziehen und präsentiert es als Relief an der Wand. Das unter großer Spannung stehende Material neigt jedoch zum Brechen, so dass die Restauratorin gefordert ist, ein adäquates Klebemittel zu finden, um die Bruchstellen zu stabilisieren.

Im Laufe meines Aufenthalts im Studio bildet sich ein klares Bild: Nicht nur Christian Scheidemann hat einen Hang zum Pioniergeist – hier ist ein ganzes Team am Werk, das ungewöhnliche Herausforderungen liebt. Mit offensichtlicher Begeisterung wird an technischen Neuerungen gefeilt.

Giuliana Moretto bei einer Stabilisierungsmaßnahme, Foto: Nina Quabeck


Ich lerne Mareike Opeña kennen, die an einer Methode forscht, oxidierte Bereiche der empfindlichen goldenen Oberflächen von Rudolf Stingels Gemälden zu behandeln. Der Künstler hat die Restauratorin mit allen Informationen zur Herstellung seiner Bilder versorgt und ihr die ursprünglich verwendete Farbe zur Verfügung gestellt. Da die Spezialeffekt-Pigmente jedoch schnell altern, konnten die Farbproben nicht verwendet werden. Die Pigmente müssen daher isoliert vom Bindemittel künstlich gealtert werden. Dadurch, dass der Farbenhersteller in der Zwischenzeit die Produktrezeptur geändert hat, ist auch der Künstler daran interessiert, den gleichen Weg über die separaten Komponenten zur Farbherstellung zu gehen um exakt den gewünschten Ton des Goldes zu mischen.

Mareike Opeña arbeitet bereits seit sieben Jahren im Studio und hat viel Erfahrung darin, Kunstwerke mit hochempfindlicher Oberfläche zu behandeln, wie sie zum Beispiel die Werke von Katharina Fritsch aufweisen. Doch eine Methode zur Behandlung von Stingels Goldoberflächen zu entwickeln, erweist sich als noch komplexer als das Neu-Fassen der Skulpturen der Düsseldorfer Künstlerin. Auf den Probetafeln ist es der Restauratorin bereits gelungen, durch Erhitzen des Metallpigments einen Ton zu treffen, der dem des Kunstwerks sehr nahe kommt. Doch das Kreieren des passenden Retuschiermittels ist schließlich nur eine Facette des Problems, auch der lokale Auftrag erfordert enorme Fertigkeiten. In Kleinstarbeit schützt die Restauratorin die unbeschädigten Flächen mit Papiermasken, bevor sie am Randbereich einen Test auf dem Kunstwerk wagt.

Mareike Opeñas Testreihen für die Restaurierung von Rudolf Stingels komplexen Goldoberflächen, Foto: Nina Quabeck

In mehreren Besprechungen, denen ich beiwohne, diskutiert das Team nicht nur die technischen Fragen, sondern auch brennende ethische Fragen: Inwieweit ist es eigentlich vertretbar, eine vom Künstler geschaffene Oberfläche in Teilen neu zu fassen, selbst wenn dem Künstler daran gelegen ist?



Quintessenz des Aufenthalts: knapp bemessene Zeit und hohe Spezialisierung

Zwar gibt die Tätigkeit für den freien Markt meist nur eine knapp bemessene Zeitspanne für die Bearbeitung des Einzelwerks vor, aber durch Werke von wiederkehrenden Künstlern sind die Restauratorinnen auf besondere Materialien und die Arbeitsweisen spezialisiert. An fast jedem Tag, den ich im Studio verbringe, wird nicht nur restauriert, sondern werden auch neue Materialien oder eine neue Restaurierungstechnik getestet.

Mein vorsichtiges Fazit nach vier Wochen New York: Der Kunstmarkt hat andere Anforderungen als das Museum. Es gibt wenig Toleranz bei den hochkarätigen Sammlern für jede Form von Makel an der Kunst. Noch immer wird eine Perfektion und Frische in der zeitgenössischen Kunst erwartet, auch wenn die Werke teilweise schon einige Jahrzehnte alt sind. Diese Frische zu erhalten oder wieder herzustellen, ist oft nicht möglich. Es kann in Gesprächen mit den Besitzern aber oft ein Verständnis für das natürliche Altern des Materials erreicht werden. Gleichzeitig ist die Bereitschaft, den erfolgreichen Künstlern der Stadt zu helfen, immens. Durch diese hohen Erwartungen entsteht große Spannung, aber auch eine Wissensvermehrung, die ihresgleichen sucht – und langfristig auch den Museen zu Gute kommen wird.

 

Nina Quabeck ist seit 2003 Restauratorin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Derzeit nimmt sie eine Auszeit von der Museumsarbeit und promoviert im Rahmen des EU-Forschungsprojekts New Approaches in the Conservation of Contemporary Art (NACCA) an der Universität Glasgow über die künstlerische Intention in der zeitgenössischen Kunst.

nacca.eu/research-projects/artist-intent-in-contemporary-art/

Wer tiefer in die Methode der Feldforschung im musealen Kontext interessiert, dem empfiehlt Nina Quabeck das Buch "In Search of a Lost Avantgarde: An Anthropologist Investigates the Contemporary Art Museum" (Matti Bunzl 2014).