Kunstsammlung NRW
Installationsansicht der Ausstellung im onomato Künstlerverein
Foto: Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

inside@instagram: Das Gegenteil von instant

Für #32 berichtet Jan-Marcel Müller von einer Ausstellung, die im Rahmen des Düsseldorf Photo Weekend das Foto-Netzwerk Instagram und seine Ästhetik unter die Lupe genommen hat.

Der onomato Künstlerverein in Flingern: An den weißen Wänden sind Fotografien angebracht, sie hängen dicht aneinander und ballen sich zu Bilderwolken. Die Motive sind divers, auf den ersten Blick erkennt man Häuserfronten, Menschen, Interieurs, Landschaften, Stillleben. Eine Besucherin der Galerie tritt heran und hat einen roten herzförmigen Aufkleber in der Hand. Sie verweilt vor den Bildern und überlegt, dann geht sie zur Wand und heftet ihn unter die Fotografie eines gelblichen Hauses – daneben kleben die Herzen der Besucher, deren Gunst das Bild zuvor schon gewinnen konnte.

Ein Beitrag geteilt von Thomas (@thofrie) am

Die Kanten des Hauses sind durch die Cadrage des Bildes elegant abgeschnitten und der runde Bürgersteig steht im Kontrast zur Geradlinigkeit des Eckhauses, dessen grüne Fensterläden mit einer Ausnahme geschlossen sind. Die Hauswände sind anscheinend seit langem nicht mehr gestrichen worden und nur das eine Fenster, dessen Läden offenstehen, weist auf eine mögliche Präsenz von Bewohnern hin. Am Ende werden insgesamt 10 Herzen neben dem Foto hängen. Auf wesentlich größere Zustimmung stoßen ein noch minimalistischeres Foto einer Hausfront, auf die ein Straßenschild einen symmetrischen Schatten wirft (28 Herzen) oder eine leuchtende Straßenlampe vor Abendrot und Palmensilhouetten (25 Herzen).

Es waren nicht nur die künstlerischen Arbeiten, die Marlène Meyer-Dunker zusammen mit Anika Meier und Jorg Sengers vom Projekt This Ain’t Art School über einen Open Call für die Ausstellung inside@instagram aus dem erfolgreichen Foto-Netzwerk bezogen hat – auch die dort üblichen Rezeptionsmuster wurden augenzwinkernd in den analogen Galerieraum übertragen: User beziehungsweise Besucher versehen ihre Favoriten mit „Likes“ und entscheiden unmittelbar über Erfolg oder Misserfolg eines Bildes. Die Herzen an den Galeriewänden führten die Abhängigkeit von Likes auf Instagram ad absurdum und warfen Fragen auf: Welche Kriterien müssen erfüllt werden, damit ein Bild auf Instagram Erfolg hat? Und kann die Übertragung des Bildes in den Galerieraum Alternativen zu diesen Bewertungskriterien aufweisen?

Installationsansicht der Ausstellung im onomato Künstlerverein
Foto: Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

Doch ganz losgelöst von der Plattform Instagram lassen sich die dort hochgeladenen Bilder nicht betrachten: Seit ihren Anfängen im Jahr 2010 hat das Netzwerk eine ganz bestimmte Ästhetik geprägt und Fotos, die bestimmten Kriterien folgen, mit einer größeren Reichweite belohnt: klare Linien, Zentralperspektive, Postkartenmotive. Kurzum Bilder, die die Aufmerksamkeit des Users beim schnellen Scrollen auf sich ziehen. Gleichzeitig hat sich auf dem sozialen Netzwerk eine Community von Instagrammern gebildet, die dies kreativ zu nutzen weiß und mit den impliziten ästhetischen Vorschriften spielt.

An genau diese richteten sich auch This Ain’t Art School, als sie im Vorfeld von inside@instagram ihren Open Call starteten: Instagram-User sollten Bilder, die sie als beispielhaft für Fotografie auf Instagram empfinden, mit dem Hashtag #taasinsideinstagram versehen. Etwa 13.000 Fotos kamen so auf die Screens der Initiatoren, von denen 20 in der Ausstellung gezeigt wurden. Um sich die Auswahl zu erleichtern, erstellte das Team eine eigene Liste von 20 Instagram-Motiven, die von der Zusammenstellung der Fotos abgedeckt werden sollte: darunter Frühstück, Selfies oder ein #dopebush.

Worum es bei Instagram geht – eine Themenliste.
Foto: Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

Die ausgewählten Fotografien waren somit explizit auf die Regeln und Motivwelten des Netzwerks ausgerichtet, befolgten sie oder unterliefen sie auf kreative Weise. Aus dem minutiös angerichteten, vertikal von oben fotografierten Frühstück wurde ein Kantinenteller, dessen nicht eindeutig identifizierbare Inhalte zu einem fast abstrakten Spiel aus Form und Farbe werden. Das Selfie wurde im beschlagenen Badezimmerspiegel zu einer weich umrandeten Silhouette, die das selbstdarstellende Individuum in eine gesichtslose Anonymität gleiten lässt. Neben diesen Regelbrüchen wirkten die konformen Motive – wie etwa ein klassischer Basketballplatz vor symmetrischer und farbenfroher Hausfront – merklich oberflächlicher. Diese Instagram-Bildwelten kontemplativ – und nicht scrollend – auf die offengelegten ästhetischen Kriterien des Netzwerks hin zu untersuchen, war für die Besucher auch eine Gelegenheit, ihre eigenen Wahrnehmungsweisen des „Contents“ auf Instagram zu hinterfragen.

Ein von @almusine geteilter Beitrag am

Das Rahmenprogramm von inside@instagram ermöglichte tieferes Eintauchen in die Frage nach dem Einfluss der Likes auf die Ästhetik der Bilder. Nach einem Vortrag der Kunsthistorikerin und freien Autorin Anika Meier diskutierten Instagrammer über die Art, wie sie Bilder für ihre Kanäle auswählen. Schnell wurde deutlich, dass die Frage nach der Anzahl der Likes nie komplett ausgeblendet werden kann. Schließlich verheißen sie Sichtbarkeit und die Möglichkeit, Teil einer Netzwerk-Community zu sein, die mit den implizit vorgegebenen Kriterien arbeitet. Abhilfe verschaffen dabei Zweitaccounts, auf denen die Instagrammer liebgewonnene Fotografien, die vorhersehbar nicht für starke Resonanz sorgen werden, mit einer kleineren Followerschaft teilen.

Doch was sagt es über uns, die Instagram-User, aus, wenn bestimmte Motive und eine gewisse Ästhetik auf besonders viel Zustimmung stoßen? Anika Meier führte es in ihrem Vortrag mit dem Titel „The Power of Likes“ auf den Wunsch nach Übersichtlichkeit zurück. Dies kann auch schonmal zur Folge haben, dass die Bilder mit dem meisten Erfolg – wie auch bei dem Gewinnerbild im onomato Künstlerverein – sehr weit vom unsteten Faktor Mensch entfernt sind. Letztendlich ist eine Ästhetik, die ein geordnetes und optimiertes Leben suggeriert, aber auch schon länger aus dem Werbekatalog bekannt. Insofern ist es vielleicht nicht überraschend, dass Instagram schnell ein idealer Nährboden für Influencer Marketing geworden ist.

Wie stark die Konditionierung der User auf Instagram wirkt, zeigt sich am Beispiel des Accounts des US-amerikanischen Fotografen Stephen Shore, auf den Anika Meier in ihrem Vortrag hinwies. Während er mit seiner Serie „Uncommon Places“ von 1982 der aktuellen Instagram-Ästhetik den Weg bereitet hat, benutzt er Instagram auf wortwörtliche Art und Weise: Die Fotos werden „instant“, als Schnappschüsse aufgenommen, direkt hochgeladen und stehen somit im Kontrast zur durchkalkulierten Ästhetik des Netzwerks. Die Qualität der Bilder ist nicht hochauflösend, die Motive sind fast banal und erzählen vom Alltag des Fotografen. Interessant sind dabei die Kommentare von Usern, die sich auf seinem Account weder in den bekannten Shore- noch in den Instagram-Bildwelten wiederfinden: Fotografien von Waldböden und Autofußmatten werden dort entweder in spürbar desillusioniertem Ton kritisiert, wohlwollend anbiedernd auf Farbtöne und Struktur hin analysiert oder mit einer Bitte um Erklärung versehen.

Auch wenn Shore Instagram kommunikativ und nicht als künstlerisches Medium verwendet, zeigt sich hier die zentrale Instagram-Spielregel: Wer seine Fotos ausschließlich nach eigenen, losgelösten Kriterien auswählt, darf sich nicht von Likes abhängig machen. Wer gesehen werden möchte, muss sich mit den Kriterien der Instagram-Ästhetik auseinandersetzen. Ist dieser Zusammenhang klar, regt die Auseinandersetzung mit dieser Ästhetik zu Experimenten an und bringt sehenswerte Ergebnisse vor, wie sie in inside@instagram präsentiert wurden.

 

MEHR

onomato Künstlerverein
This Ain’t Art School
Düsseldorf Photo Weekend
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen auf Instagram