Kunstsammlung NRW
Kris Martin in der Ausstellung, Foto: Kunstsammlung

#32 fragt … Kris Martin

Bunker, Keller, Höhlen, Grotten und Tunnel: Der vielfach in Literatur und Kunst formulierte Abstieg in den Untergrund ist eng verbunden mit den Utopien und Anti-Utopien des 20. Jahrhunderts. In der Ausstellung "Unter der Erde. Von Kafka bis Kippenberger" sind diese in den Werken von zwei modernen und 12 zeitgenössischen Künstlern allgegenwärtig. Der belgische Künstler Kris Martin hat eigens für die Ausstellung die ortsspezifische Arbeit „Unter der Erde scheint die Sonne“ beigetragen, mit der er die Phantasie des Betrachters fordert. 

#32 traf den Künstler im Aufbau der Ausstellung und sprach mit ihm über Franz Kafka, die Person Kris Martin und die besten unterirdischen Orte in Gent, seiner Heimatstadt.

 

#32: "Unter der Erde scheint die Sonne" heißt Ihre Installation für die Ausstellung "Unter der Erde".  Sie wird im Ständehauspark neben dem K21 aufgestellt, also außerhalb der Ausstellungsräume. Wie kam es zu dieser Idee? Was sieht der Besucher, was sieht er nicht?

Meine Installation besteht aus einem Marmorstein, auf dem in zwei Zeilen “Unter der Erde / scheint die Sonne” geschrieben ist. Die zweite Zeile ist aber nicht lesbar, denn sie befindet sich unter der Erde. Das ist natürlich ein Paradox, mit dem ich die Phantasie des Zuschauers fordere. Die Installation stellt die Verhältnisse auf den Kopf, bezieht sich auf die Möglichkeit eines Lebens nach dem Tod und ist zudem eine Referenz an den Himmel im christlichen Sinne.

#32: In Ihrem Werk finden sich häufiger Bezüge zu Büchern (Dostojewskis „Der Idiot“, Don Quijote) oder literarischen Motiven. Gibt es auch Berührungspunkte zu Franz Kafka, dessen Werk „Der Bau“ die Folie unserer Ausstellung ist und das jeder Ausstellungsbesucher zur Eintrittskarte dazu bekommt?

Ja, und zwar in Form eines konkreten Werks. 2005 habe ich eine Arbeit gemacht, die ‘Verwandlung’ heißt. Sie besteht aus Kafkas Roman ‘Die Verwandlung’, handgeschrieben auf nur einem Blatt Papier. Die Tinte transformiert das Papier zu einem schwarzen Fleck, in dem die Zeilen des Romans durch das wiederholte Überschreiben nicht mehr lesbar sind. Es handelt sich um die Verwandlung eines unbeschriebenen Blatts Papier zu Kunst, und diese Transformation thematisiere ich oft in meinem Werk.

Kris Martin, Verwandlung, 2005, Ink on paper, 33.5 x 27 cm / 13 1/4 x 10 2/3 in, Courtesy Sies + Höke, Düsseldorf, Foto: Achim Kukulies, Düsseldorf

#32: Die Objekte stehen in Ihrem Werk im Vordergrund. Die Person Kris Martin scheint künstlerisch dahinter zurück zu treten. Stimmt das?

Das stimmt. Ich sehe mich nicht als Schöpfer, sondern als Beobachter. Ich beobachte, setze Dinge in eine andere Perspektive, transformiere sie. Natürlich fängt dies mit einer Idee an, also ist der Ausgangspunkt natürlich der Kopf des Künstlers. Aber ich bevorzuge, meine Arbeiten für sich sprechen zu lassen und als Person dahinter zu treten.

#32: Gibt es in Ihrer Heimatstadt Gent einen Ort „unter der Erde“, den wir bei unserem nächsten Urlaub in Belgien unbedingt besuchen sollten?

Ein Besuch an der Krypta der Sint-Bavo-Kathedrale lohnt sich bestimmt. An diesem Ort stand die alte Sint-Jan-Kirche. Sint-Jan ist auch der Name der Ausstellung, die ich letztes Jahr mit meinem Freund Jan Hoet in der Kirche organisiert habe. Vor einigen Wochen ist Jan verstorben. Er hinterlässt eine große Leere in den Herzen vieler belgischer und internationaler Künstler und Freunde. Dieser Ort hat also eine symbolische Bedeutung für mich. Aufmerksame Zuschauer werden auf der Spitze der Kathedrale übrigens eine weitere Arbeit von mir sehen.


Für die Ausstellung „Unter der Erde. Von Kafka bis Kippenberger“ stellt Kris Martin nicht nur eine neue Installation, sondern auch eine Edition dieses Werkes zu Verfügung, die die Kunstsammlung zum Kauf anbietet. Es ist eine Frottage des aufgestellten Marmorblocks, die einen in den Stein gravierten Text sichtbar werden lässt.


Die Fragen für #32 stellte Alissa Krusch.