Kunstsammlung NRW
Raqs Media Collective, Foto: Amàlia Jyran Dasgupta
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3 Fragen an... Raqs Media Collective

Die Auseinandersetzung mit Zeit, Sprache und Geschichte ist das Zentrum der künstlerischen Arbeit von Raqs Media Collective. Die 1992 in Neu-Delhi gegründete Künstlergruppe vereint zeitgenössische Kunstpraxis in verschiedensten Medien mit historischer und philosophischer Spekulation, mit Geschichtsforschung und Theorie. Die drei sind in ihrer Haupttätigkeit Künstler, sie treten aber zugleich auch als Kuratoren, Buchautoren oder Filmemacher in Erscheinung und arbeiten mit Architekten, Theaterregisseuren und Softwareentwicklern eng zusammen.

Für #32 haben uns Jeebesh Bagchi, Monica Narula und Shuddhabrata Sengupta in ihrer ganz eigenen Herangehensweise im Vorfeld drei Fragen beantwortet:


Mit dem „Raqs Media Collective“ stellt Ihr „rarely asked questions“ (raqs), selten gestellte Fragen. An welche Fragen denkt Ihr dabei? Wie könnten die Antworten aussehen?

Raqs Media Collective: R(arely) A(sked) Q(uestion)S, selten gestellte Fragen, führen zu einer Neuordnung im Bewusstsein des Fragestellers. Die Frage kann ganz simpel sein – oder auch nicht. Bei einer Frage geht es in Wirklichkeit nicht um den Schwierigkeitsgrad, sondern um die Art von Frage, die plötzlich alles durcheinanderbringt, was wir für selbstverständlich halten.

Vor einiger Zeit haben wir eine performative Arbeit namens „Bureau of Rarely Asked Questions“ – Büro der selten gestellten Fragen – gemacht. Sie besteht aus zwei offiziell aussehenden Tischen. Der eine Tisch ist gekennzeichnet als „Bureau of Rarely Asked Questions (RAQS)“ – als Amt für selten gestellte Fragen, der andere als „Bureau of Frequently Asked Questions (FAQS)“ – als Amt für häufig gestellte Fragen.

Am Tisch für häufig gestellte Fragen gibt es ein Schild mit der Aufschrift: „Geschlossen. Bin in der Mittagspause.“ Am anderen Tisch für RAQS sitzt jemand. Besucher können dorthin gehen und diese Person etwas fragen. Was immer sie wollen.

Stellt man eine Frage, denkt die Person über diese Frage nach und entscheidet, ob sie interessant genug ist, um als „selten gestellte Frage“ infrage zu kommen. Wenn die Frage diese Voraussetzungen nicht erfüllt, wird der Fragesteller an das „Amt für FAQS“ verwiesen, das leider immer wegen Mittagspause geschlossen ist.

Handelt es sich um eine RAQS, eine selten gestellte Frage, wird ein Satz Karten konsultiert. Es gibt sechs Stapel Karteikarten. Jeder ist mit einer Aufschrift versehen und liefert eine Reihe möglicher Antworten auf Fragen. Wurde eine Antwort gegeben, kann es zu einem Gespräch kommen, das so lange dauern kann, bis der Fragesteller zufrieden ist. Dann ist der nächste Fragesteller an der Reihe und so weiter.

Dies sind einige Antworten:

Indem man aus allen möglichen Missverständnissen Nutzen zieht.
Indem man bewusst im Widerspruch zu den eigenen erklärten Interessen handelt.
Durch die Bereitschaft, besiegt zu werden.
Indem man den Lauf der Zeit ohne Unterbrechung miterlebt.
Bei der nächsten Sonnenfinsternis.
Heute Abend.
Wenn der nächste Bus ab Hauptbahnhof fährt.
Zur Zeit der präkambrischen Explosion.
1426 n. Chr.
Wann immer es passt.
Jetzt. In diesem Moment.
Bei zweien bekommen sie drei umsonst.
So viel Sie können.
So wenig wie möglich.
Gerade genug.
einige Milligramm werden ausreichen.
Weil die Zeitung nur selten ihre Geheimnisse preisgibt.
Weil der Nordwind die Sehnsucht nach dem Süden mit sich bringt.
Weil die Frage zu wichtig ist, um schnell beantwortet zu werden.


Besucherin der Ausstellung im K21, Foto: Wilfried Meyer

#32: Die Idee des Kollektivs ist ein wesentlicher Bestandteil Eurer Arbeit. Was beinhaltet sie? Wie sehen künstlerische Prozesse/Entscheidungen aus, wenn sie Teil einer Gruppe sind?

Raqs Media Collective: Es ist nicht so, als wäre der Ball einer Idee – sei es ein Bild, ein Textauszug, eine Skizze, eine Anleitung oder ein kuratorischer Vorschlag, der einmal aus einem unserer drei Köpfe herausgeschleudert wurde – automatisch wie bei einem Staffellauf zum Weiterflug in die Richtung bestimmt, die die ihn zuerst werfende Person für ihn vorgesehen hat.

Das Abfangen der Idee und die Wende, die sie möglicherweise bekommt, wenn sie durch die Welt zwischen unseren Festplatten jagt, kann ihre Flugrichtung komplett verändern. Die Dinge springen möglicherweise lange Zeit hin und her oder sie erhalten Dralle und Geschwindigkeiten, die sie in ganz unerwartete Umlaufbahnen katapultieren. Das kann so weitergehen, bis der Ball in einer kurzen Spielpause zum Erliegen kommt.

Diese Pause ist häufig der Augenblick, in dem wir feststellen, dass sich eine Arbeit in einem Stadium befindet, in dem sie mehr oder weniger bereit ist, in die Welt außerhalb unserer Festplatten zu gleiten. Normalerweise handelt es sich dabei um ein Kunstwerk, manchmal aber auch um eine von uns kuratierte Ausstellung oder einen von uns geschriebenen Text.

Raqs Media Collective im Ständehauspark: Coronation Park, 2015, Foto: Wilfried Meyer


#32: Für die Ausstellung in Düsseldorf habt Ihr verschiedene Arbeiten in den umliegenden Außenanlagen geplant. Haben sie einen Bezug zur Stadt Düsseldorf und der Geschichte, Kultur oder Politik in Deutschland? In welcher Beziehung stehen die Arbeiten zum sie umgebenden Raum?

Raqs Media Collective: "Coronation Park" wird im Park durch drei Statuen auf Sockeln dargestellt, die durch einen Textauszug kommentiert sind. In dieser Arbeit geht es um die Hybris und die Realität, dass alle Formen von Macht vergänglich sind, egal, für wie dauerhaft sie sich halten. Diese Idee sollte an jedem Ort Nachhall finden, der den Aufstieg und Fall großer Machtansprüche erlebt hat. Sie wäre an jedem Ort in Europa relevant, und sogar an vielen Orten weltweit, doch aufgrund der Geschichte imperialer Ambitionen in Deutschland spielt sie eine nicht unbedeutende Rolle, selbst in Düsseldorf.

If the World is a Fair Place...

"If the World Is a Fair Place" besteht aus Metallringen für Bäume im Ständehauspark. Diese Arbeit entstand als Reaktion auf Gedanken zu Gerechtigkeit, Fairness und eine Geschichte der Rassendiskriminierung und rassistisch motivierten Gewalt. Das Wort "fair" geht in drei verschiedene Bedeutungen über: fair als gerecht; fair als helle Hautfarbe oder Rassen-Marker und schließlich fair als Jahrmarkt oder Ausstellung. Die Arbeit bewegt sich an der Schnittstelle dieser drei Bedeutungen und Antworten auf eine Frage, die Raqs den Einwohnern von St. Louis, Missouri, USA nach den Unruhen in Ferguson stellte, die sich an den Mord an einem unbewaffneten afroamerikanischen Teenager durch einen weißen Polizisten 2014 anschlossen. Ferguson ist ein Vorort von St. Louis, wo 1904 die Weltausstellung stattfand – einer World Fair zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Postkarten mit "If the world is a fair place, then… ?" wurden verteilt. Die Leute wurden ermuntert, in die leeren Felder zu schreiben, was ihrer Vorstellung nach passieren würde, wenn die Welt tatsächlich ein "fair place", ein schöner Ort, wäre (im Gegenzug bekamen sie, wenn sie wollten, Radiergummis in Eiskremform). Einige dieser Antworten wurden zum Text über die Metallringe, so etwa:

Dann würde mein Großvater nicht unglücklich sterben.
Dann blauer Himmel, stürmische See, erlassene Schuld
Dann wird die Farbe frei sein
Dann werde ich keine Ausnahme sein
Dann kostenloses Eis für Kinder
Dann höre ich zu
Dann werde ich mein verlorenes Riesenrad finden
Dann wäre weniger mehr
Dann bräuchte man diese Frage nicht stellen

Wenn man bedenkt, dass Fragen zu Rassismus und Gerechtigkeit in gefährlichem Ausmaß auf der ganzen Welt vorhanden sind, halten wir diese Arbeit für recht wichtig. Vor kurzem haben wir einen Blogbeitrag gelesen mit dem Titel "Der tägliche Rassismus, der mir als schwarzer Frau in Deutschland entgegenschlägt" von Lisa Tracy Michalik, einer Schauspielerin afrikanischer Herkunft, die in Düsseldorf lebt und arbeitet. In diesem Blogbeitrag spricht Michalik von den Mikro-Agressionen und dem "ganz alltäglichen Rassismus", mit denen sie konfrontiert ist.

Sie schreibt: "Die einfache Frage: 'Woher kommst du?' ist nicht einfach, sie ist eine ideologisch aufgeladene Frage. Denn in neun von zehn Fällen antworten sie auf meine Antwort, dass ich aus Düsseldorf komme: 'Ja, aber woher kommst du wirklich?'"

 

Weiterführende Links

Blog-Post von Lisa Tracy Michalik
Original-Text des Zitats in Frage 3:
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Raqs Media Collective: Additions, Subtractions: On Collectives and Collectivities
Aufsatz über die Arbeit im Kollektiv, in: Manifesta Journal 8 (2009/2010)
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Website Raqs Media Collective
Umfangreiche Übericht zum Werk der Künstler
raqsmediacollective.net


Die Ausstellung Raqs Media Collective ist bis zum 12. August 2018 im K21 der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zu sehen.

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Interview für #32: Alissa Krusch
Übersetzung (englisch-deutsch): Claudia Kotte